Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition)
immerhin nicht unerwähnt lassen,
dass meine erste Frau eine ganz charmante elegante Dame von Welt war, viel gereist, mir weit überlegen, 8 Jahre älter als ich, sehr wohlhabend, aus einer Dresdner Patrizierfamilie, 2 Onkel, Brüder ihres Vaters, aktive Generäle, einer Excellenz u. sächsischer Ministerpräsident, königlicher. Meine Tochter hat von ihr sehr viel Intelligenz u. Ladylikes geerbt. 66
Ein andermal beschrieb er die schlanke brünette Frau als »alles andere als arbeitsam u. in diesem Sinne eifrig; sie war ausgesprochen auf Amüsieren u Leichtlebigkeit aus«. 67 Über Ediths Leben in Berlin, ob und wie sie ihre Vorlieben für Gesellschaftenund andere Geselligkeiten ausleben konnte, ist so wenig bekannt wie über das Familienleben: bis auf wenige Erinnerungen Neles, etwa »an knisternde Weihnachtsstrümpfe am Bett«. 68
Dass Benn in den Jahren bis 1922 den ihm gebührenden Teil am Bücherboom im Zuge des literarischen Nachholbedarfs nach dem Ersten Weltkrieg abbekam, zeigt die relative Vielfalt der Orte, an denen er veröffentlichen konnte, obwohl nicht verschwiegen werden darf, dass er nur sehr wenig produzierte: Da war der Kreis um Gustav Kiepenheuer und dessen Mitarbeiter Wolf Przygode und Hermann Kasack, da meldete sich Max Krell, der im Rowohlt Verlag eine Anthologie neuester Novellen 69 herausgeben und im Erich Reiss Verlag Maximilian Hardens Zeitschrift
Die Zukunft
übernehmen sollte, was jedoch wegen Unstimmigkeiten mit Harden scheiterte, und schließlich gelang es Benn, einige Gedichte in der
Neuen Rundschau
bei Samuel Fischer unterzubringen, in deren Redaktion Oskar Loerke seit 1917 beschäftigt war. Doch all das waren nur schlecht bezahlte Zeitschriften- und Anthologiebeiträge, es war kein Buch.
Benn spürte, dass einerseits die Rahmenbedingungen stimmten, andererseits war er bei der Veröffentlichung eines bei Kiepenheuer geplanten Novellenbandes so zögerlich gewesen, dass dieser nicht zustande kam. Da kam die durch Max Krell vermittelte Bekanntschaft mit dem beinahe gleich alten Verleger Erich Reiss gerade recht.
Der Berliner Sohn eines jüdischen Kaufmanns hatte im Alter von 21 Jahren ein nicht unbedeutendes Vermögen geerbt und 1909 seinen Verlag gegründet. Benn verließ den Kiepenheuer-Dunstkreis und veröffentlichte seitdem in den im Reiss Verlag erscheinenden Zeitschriften
Die Zukunft
und
Der Anbruch
, denn was ihm der mit Max Reinhardt befreundete Theaterliebhaber und Freund schöner Bücher in Aussicht stellte, war nicht weniger als eine Ausgabe seiner
Gesammelten Schriften
, was seine Stellung in der literarischen Öffentlichkeit zweifellos festigen würde. Andererseits darf nicht übersehen werden, dass Benn sich für den Moment »ausgeschrieben« hatte und es ihm in solchen Phasen seines Lebens am liebsten war, wenn seine literarischen Dinge geordnet waren: ein Muster übrigens, das sich bis zu seinem Tod wiederholen wird.
… eine Arbeit anfangen, ein Stück, eine Novelle, aber wozu, worüber, alles so erledigt, ausgepowert, abgeknabbert u. schließlich kotzt einer vor sich selber, vor der Methode seiner eigenen Gedanken, seiner produktiven Technik, kurz: der Mechanik des Genialen. 70
Mit seiner Novellentechnik hatte er ein vorläufiges Ende erreicht, Gedichte machte er nur noch bei Gelegenheit, und seine Dramen wurden schlichtweg nicht wahrgenommen: »… fünfunddreißig Jahre und total erledigt, ich schreibe nichts mehr − man müßte mit Spulwürmern schreiben und Koprolalien; ich lese nichts mehr − wen denn?« 71
In dem hageren und kleinen, meist melancholischen, aber begeisterungsfähigen Erich Reiss hatte Gottfried Benn einen Verleger gefunden, der zu allen Zeiten versuchte, seine Bücher in guter Ausstattung und zu kleinen Preisen herzustellen und dessen Verlag »in allen Bezügen die innere Haltung eines nationalbewussten, aber nicht nationalistisch eingestellten Bürgers und Intellektuellen widerspiegelte, der zugleich die Türen weit geöffnet hielt für ausländische Strömungen und Autoren und somit im besten Sinne europäisch genannt werden kann«. 72 1921 /22 waren für den Verlag mit je 35 Veröffentlichungen überdurchschnittlich gute Jahre. Als im Februar 1922 die
Gesammelten Schriften
aufgrund der fortschreitenden Inflation mit beinahe halbjähriger Verspätung endlich im Druck waren, 73 hatten Benn und sein Verleger, so gut es ging, versucht, im eigenen Haus Werbung für das Buch zu machen: Im Herbst erschien im
Anbruch
die
Weitere Kostenlose Bücher