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Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition)

Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gottfried Benn - der Mann ohne Gedächtnis: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Hof
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einzige noch unveröffentlichte Novelle mit dem programmatischenTitel
Das letzte Ich
, und in der
Zukunft
Benns »Lebenslauf« unter dem Titel
Epilog
, jedoch fand er
     
die Tatsache an sich so chokant, daß jemand ohne zu fragen, also gewissermaßen korrigierend meine Artikel einschiebt oder einen Punkt setzt, wo keiner sein sollte, u. dann fand ich
Epilog
ohne »zu den gesammelten Schriften« so blöd u. unmotiviert. 74
     
    Die Liste der Verlagsveröffentlichungen des Jahres 1922 reichte von Klassikerausgaben wie Goethes
West-östlichem Divan
über Erna Pinners
Schweinebuch
für Kinder, Klabunds Gedichtband
Das heiße Herz
, bis zu Georg Brandes’
Goethe
(in sechster Auflage) und Eduard Stuckens
Die weißen Götter:
allesamt Bücher, die für Benn Bedeutung erlangen sollten.
    Im Mai wurden die ersten Exemplare der
Gesammelten Schriften
ausgeliefert, und das
Börsenblatt
kündigte sie auf holzfreiem Papier geheftet für 75 und in Halbleinen gebunden für 100 Mark an: »Ein Dutzend seiner klassischen Gedichte wird das Antlitz dieser Zeit in eine bessere oder schlechtere Zukunft hinüberretten.« 75 Gerade als Benn ein paar der Exemplare an seine besten Freunde zu verschenken begann, mussten die in den Handel gelangten Bücher zurückgezogen werden. Der Verlag Kurt Wolffs war wegen der Abdruckrechte offensichtlich übergangen worden und erwirkte den Verkaufsstopp.
Gehirne, Die Reise, Die Insel
und
Der Geburtstag
wurden aus den Bänden entfernt 76 und durch die Gedichte
Chanson
und drei weitere aus dem Zyklus
Schutt
sowie die Novelle
Diesterweg
ersetzt, und am 23. Januar 1923 waren Benns
Gesammelte Schriften
, wenn auch verstümmelt, wieder lieferbar.

VIII

»ICH MUSS TAUCHEN U. VERGESSEN« 1
(1923 – 1927)
     
     
    »Hier stand er, kleiner Mann, mittelständig,
    ohne viel Anhang und von geringer Wirkung.«
2
     
     

Chaos 43
     
     
    Im Herbst 1923 schien Deutschland im politischen Chaos zu versinken. Während linke Regierungsbündnisse nach dem Vorbild der russischen Revolution in Sachsen und Thüringen paramilitärische Verbände aufzustellen begannen, die erst wieder aufgelöst wurden, als die Reichswehr am 23. Oktober in Sachsen einmarschierte, formierten sich in Bayern die Rechten zum Kampf gegen die Republik. Am Abend des 8. unternahm Adolf Hitler, Vorsitzender der NSDAP, in München einen Putschversuch. Sein »Marsch nach Berlin« endete jedoch schon am nächsten Tag an der Feldherrnhalle. Wenige Tage darauf wurde mit der Rentenmark eine neue vorläufige Währung eingeführt, die die Inflationswirren beendete.
    Das Chaos war ein Zustand, in dem sich Benn auskannte, der ihn gewissermaßen erregte. Selbst wenn es »nur« um das Politische und Ökonomische ging, für das sich Benn nicht sonderlich interessierte, so steckten darin doch die Chancen des Neubeginns und der Neuordnung, und das zielte direkt auf den Hauptschalter im Bennschen Energiehaushalt: Je unübersichtlicher die Verhältnisse waren, desto mehr fühlte sich Benn gedrängt, einen – wie er sich einmal ausdrückte – seiner »jüngsten Tage zu arrangieren«. Am 6. Dezember wurde in der
Weltbühne
sein
Chaos
betiteltes Gedicht abgedruckt:
     
    Keine Flucht. Kein Rauschen.
    Chaos. Brüchiger Mann.
    Fraß, Suff, Säfte tauschen
    ihm was Lebendes an,
    mit im Run der Aeonen
    in die Stunde des Nie
    durch der Zeiten und Zonen
    leere Melancholie.
     
     
    Über Benns Leben in der Mitte der zwanziger Jahre ist nur wenig bekannt. Ab April 1924, zwei Monate nachdem bei dem Verleger der
Morgue
, A. R. Meyer, das schmale Lyrikheft
Schutt
erschienen war, von dem Widmungsexemplare an Gertrud Zenzes und Egmont Seyerlen überliefert sind, korrespondierte und traf sich Benn mit der Übersetzerin Bertha Schiratzki, die in der Redaktion des
Querschnitt
mitarbeitete und deren kleine Fingernägel er ausgesprochen schätzte. Möglicherweise bewegten sie sich besonders flink und sicher über die Schreibmaschinentastatur. Im Juni fuhr er mit Ellen Overgaard nach Hahnenklee in den Oberharz und hatte die Kinder im Juli bei sich in Berlin. Im August kam Klabund aus München zu Besuch. Benn vergaß, drei ausgeliehene Bücher in die Staatsbibliothek zurückzubringen, hatte Ärger mit der Steuerbehörde und ließ die Pensionsansprüche seines Adoptivsohns Andreas überprüfen, die schließlich auf 164 Mark festgesetzt wurden.
    Wahrscheinlich Ende 1924 lernte er die Schauspielerin Margarete Anton kennen, »eine junge Dame, die sehr merkwürdig und pathologisch ist«, 44

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