Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
ihrem Vater von dem brutalen Überfall. Monsieur de Havré sah sich vor einem dornigen Problem. Die Republik drängte darauf, Spanien solle die royalistischen französischen Emigranten nicht länger unterstützen; ja, es ging das Gerücht, das Direktorium verlange ihre Ausweisung. Es war möglich, daß dies eine Bedingung der bevorstehenden Allianz war. Sein königlicher Herr, der Achtzehnte Louis, trieb sich, ein Flüchtling, unter kläglichen äußern Umständen in Deutschland herum, angewiesen auf die finanzielle Hilfe, die sein armer Botschafter von den Ministern des Katholischen Königs erbetteln mußte. Vielleicht war es Fügung, daß sich dieser tierische Friedensfürst in seine arme Tochter verliebt hatte. War es nicht seine vaterländische Pflicht, dem Minotaurus seine süße Geneviève hinzuwerfen?
So also war Geneviève de Havré der Schar der Geliebten Don Manuels eingereiht worden. Der hatte zwar die Lust an der Kleinen schnell verloren, besonders da Pepa über seine neue Liebesaffäre eher erheitert schien als gekränkt. Aber das dünne Mädchen erwies sich als zäh, hinter ihr stand höflich und bedrohlich der Vater, und die Vorstellung eines Monsieur de Havré, der in Europa herumzog, finster klagend, Spanien nütze die Not der französischen Monarchie dazu aus, französische Aristokratinnen zu schänden, war Manuel nicht angenehm. Es war natürlich verlockend, durch Abschluß der Allianz und Ausweisung der Royalisten die vorwurfsvolleGeneviève und ihren Vater loszuwerden. Aber was für Gesichter werden seine Standesgenossen, die zwölf Duzbrüder und Granden der Ersten Reihe, machen, wenn der Príncipe de la Paz seine kleine Freundin aus dem Lande jagte! Und wie werden Pepa und María Luisa ihn hänseln!
Allein das Direktorium in Paris war nicht gewillt, seine Politik von den Liebesaffären Manuel Godoys stören zu lassen. Man berief den Botschafter General Pérignon ab, weil er sich Spanien gegenüber zu sanft gezeigt habe, und ersetzte ihn durch den Bürger Ferdinand-Pierre Guillemardet.
Die Berichte der spanischen Agenten in Paris über die bisherige Laufbahn des Bürgers Guillemardet klangen peinlich in die helle Sommerruhe des Hofes im Schlosse von San Ildefonso. Guillemardet, ein noch junger Mann, war Arzt eines Dorfes in der Nähe von Paris gewesen; das Departement Saône-et-Loire hatte den fanatischen Republikaner in den Konvent geschickt. In dem Prozeß gegen Louis den Sechzehnten hatte er erklärt: »Als Richter stimme ich für die Todesstrafe. Als Staatsmann stimme ich gleichfalls für die Todesstrafe. Ich stimme also zweimal für die Todesstrafe.« Zum Spezialkommissar für drei nördliche Departements ernannt, hatte er dekretiert, die öffentlichen Gebäude, die unter den Namen »Tempel, Kirche oder Kapelle« bekannt gewesen, seien fortan nicht mehr für Zwecke des Aberglaubens, sondern nur mehr für Zwecke der öffentlichen Wohlfahrt zu benutzen. Und einen solchen Mann, einen Königsmörder und Gottesleugner, schickte nun die Republik nach San Ildefonso, um die Austreibung der Royalisten und den Abschluß der Allianz zu erzwingen.
Der Bürger Guillemardet traf ein und stellte sich zunächst dem spanischen Ministerkollegium vor. Er erwies sich als ein gutaussehender Mann, korrekt, hochfahrend, zeremoniös, kurz angebunden. So jedenfalls sahen ihn die Minister des Katholischen Königs. Er seinesteils berichtete nach Paris, das spanische Kabinett bestehe aus vier Trotteln, geführt von einem Truthahn.
Als der Bürger Guillemardet in den Dienst der Republik getreten war, hatte er, der Vorschrift gemäß, den feierlichen Eid abgelegt: »Ich schwöre aufrichtige Ergebenheit der Republik und ewigen Haß den Königen.« Schwerlich indes konnte er als Gesandter am Hofe des Katholischen Königs diesem Monarchen seinen Haß offen bezeigen, und er hatte das Direktorium um Weisung ersucht, wie er sich zu verhalten habe. Man hatte ihn bedeutet, er solle sich, damit er um so energischer auf seinen politischen Forderungen bestehen könne, dem spanischen Hofzeremoniell in jeder Hinsicht fügen. Das hatte zur Folge, daß sich der neue Bürger-Gesandte mancherlei Demütigungen unterziehen mußte.
Zunächst hatte er dem Katholischen König in feierlicher Audienz sein Beglaubigungsschreiben zu überreichen und sich der gesamten königlichen Familie vorzustellen. Im Thronsaal versammelt waren neben dem Königspaar die Infanten und Infantinnen, und der Königsmörder mußte nicht nur dem Trottel Carlos
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