Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
sich, und sie stehen ihm freundlich Rede. So verbringt er in seinem Zimmer vier kummerlose Stunden, vergißt seinen grämlichen Alltag, sorgt sich nicht um seine Armut, der Tod schreckt ihn nicht mehr. Er lebt mit seinen klassischen Autoren, er fragt und sie antworten, sie fragen und er antwortet, er liest ihre Bücher und schreibt an den seinen.
Ihm nachzutun versuchte Miguel Bermúdez. Umgeben von seinen Bildern, Büchern, Manuskripten arbeitete er an seinem Künstlerlexikon, und zuweilen gelang es ihm, eine Stunde oder sogar zwei bei seinem Werk zu bleiben, ohne vor das Porträt Lucías zu treten.
Im übrigen schrieb Lucía häufig und unbefangen. Sie tat, als hätte sie die Reise nach Paris wirklich in seinem Auftrag gemacht, und schrieb viel über Politik. Sie war in Verbindung mit einflußreichen Männern, und alle waren sie erstaunt und verärgert darüber, daß Spanien die Allianz noch immer hinauszögerte.
Auch über die Pariser Maler berichtete sie, vor allem über die Entwicklung des Malers Jacques-Louis David. Der war seit dem Sturze Robespierres zweimal im Gefängnis gewesen, er hatte sich würdig und klug benommen, er hatte sich dem neuen Regime, der Revision der Freiheit und Gleichheit, anzupassen gewußt, ohne seine klassisch republikanischen Ideale aufzugeben. Jetzt hatte er wieder seinen Sitz unter den Fünfhundert, organisierte die Kunstsammlungen der Republik und war unter den Malern Frankreichs der angesehenste und einflußreichste. Er arbeitete an einem großen Gemälde »Die Sabinerinnen«. In klassischen Linien und in klassischer Nacktheit sollte es darstellen, wie die geraubten Frauen zwischen den Feinden vermitteln; auf solche Art wollte der Künstler die notwendige Versöhnung des Gegensätzlichenveranschaulichen. Monsieur David hatte den Plan des Gemäldes schon im Gefängnis entworfen, er malte seit Monaten daran, er war ein langsamer, gründlicher Arbeiter. Ganz Paris, schrieb Lucía, nehme leidenschaftlichen Anteil am Fortgang des Werkes, alle zwei Wochen würden Bulletins ausgegeben.
Später ergänzte sie ihre Berichte über die Pariser Meister, indem sie Miguel Stiche schickte, dann sogar Gemälde, die sie billig erworben haben wollte, einmal auch ein Bild von David. Miguel stand geteilten Gefühles vor den kostbaren Werken. Ihr Besitz machte dem gierigen Sammler Freude. Doch sagte er sich, man erwarte politische Dienste von ihm, vor allem, daß er das Seine tue, den Abschluß des Allianzvertrages zu beschleunigen. Solche Politik entsprach seiner Überzeugung, aber es war ihm unlieb, daß nun diese Überzeugung mißdeutet werden konnte.
Dabei lag es zutage, daß auch ohne jene schriftliche Verpflichtung Don Manuels das Bündnis mit Frankreich geschlossen werden mußte. Zwar mochte dieses Bündnis eine bedrohliche Abhängigkeit des Königreichs von der stärkeren Französischen Republik zur Folge haben; aber ohne Frankreichs Hilfe war Spanien nicht mehr imstande, seine Kolonien gegen die übermächtige englische Flotte zu verteidigen. Der Príncipe de la Paz hätte also endlich sein Versprechen einlösen können, ohne sich einem Tadel auszusetzen.
Allein er zögerte weiter und suchte immer neue Vorwände, Paris hinzuhalten. Vor der Königin und vor seinem Don Miguel erging er sich in patriotischen Beteuerungen, er habe Angst davor, Spanien Fesseln anzulegen, von denen es sich auf lange Zeit nicht werde befreien können. María Luisa lächelte übers ganze Gesicht, Miguel in seinem Innern. Beide wußten, daß es sehr private Gründe waren, welche die Haltung des Ersten Ministers bestimmten.
Don Manuel hatte eine Liebschaft angefangen mit der kleinen Geneviève, der Tochter Monsieur de Havrés, des royalistischen Botschafters.
Er war ohne Schwung, halb gegen seinen Willen, in dieseAffäre hineingeglitten. Eines Abends, während einer langweiligen, offiziellen Gesellschaft, hatte er eine flüchtige Neigung für Geneviève verspürt; die kindhafte Magerkeit des Mädchens, ihm sonst eher unangenehm, hatte ihn angezogen, dazu die Idee, daß sie von ältestem französischem Adel war. Auch war er, ohne sich’s recht zu gestehen, leise eifersüchtig auf Goya, er hatte das vage Gefühl, Pepa habe sich von der Leidenschaft zu ihrem Maler noch immer nicht frei gemacht; es war angebracht, ihr zu zeigen, daß sie seiner, Manuels, nicht durchaus sicher sein konnte. Er bat also unter einem Vorwand Geneviève zu sich und attackierte sie ohne Umschweife. Sie floh entsetzt und erzählte bleich
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