Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
keinen Halt habe vor der Vernunft und keine Wirklichkeit sei, und wie es trotzdem seine Wahrheit sei. Und er versah den Brief mit drei Kreuzen und bat den Freund, nicht zu sparen und der Virgen del Pilar viele dicke Kerzen zu stiften, auf daß sie ihn und seine Kinder von der Krankheit heile.
Die Alba hörte von der Erkrankung der Kinder Franciscos. Er hatte ihr nie was gesagt von der Ausrede, die er damals gebraucht hatte, aber sie ahnte die Verwirrung seiner Brust. Sie schickte die Dueña und ließ ihren Besuch ankündigen. Sie war nicht verwundert, als er ablehnte, sie zu sehen. Sie suchte Josefa auf und erbot sich, ihren Arzt zu schicken, den Doktor Peral.
Goya zeigte sich nicht, als Peral kam. Josefa rühmte ihn als ruhig, klug, sachverständig. Goya schwieg. Zwei Tage darauf ging es Mariano sichtlich besser, die Ärzte erklärten ihn für gerettet. Am dritten Tag starb die kleine Elena.
Goyas Verzweiflung, seine Empörung gegen das Schicksal war ohne Maß. Vom Totenbett der Kleinen lief er in sein Atelier, verfluchte die Heiligen, die nicht geholfen hatten, verfluchte sich, verfluchte sie, die an allem schuld war, die Hexe,die Hure und Herzogin, die aus hochmütiger Laune und Lust ihn gezwungen hatte, sein liebstes Kind zu opfern. Wieder am Totenbett, dachte er an die grauenvollen Erstickungsanfälle des Kindes und wie er hilflos hatte zuschauen müssen. Sein massiges, löwenhaftes Gesicht wurde zu einer Maske äußersten Leides; niemals hatte ein Mensch durchgemacht, was er erlitten hatte und erlitt. Dann lief er zurück ins Atelier, und sein Schmerz wandelte sich in Wut und Durst nach Rache, in die Begier, ihr, der Verfluchten, seinen ganzen Zorn, seine Verachtung und seine Erkenntnis in das hochmütige Puppengesicht hineinzuwerfen.
Agustín war beinahe immer um ihn. Aber er löschte sich aus und sprach nur das Nötigste, es war, als ginge er auf Zehen. Er besorgte, ohne zu fragen, auf eigene Verantwortung die Geschäfte, die sich gerade jetzt besonders häuften. Francisco tat die Art wohl, wie ihm der Freund seine Teilnahme bezeigte. Er war ihm dankbar, daß er ihn verstand und ihm nicht mit billigem, freigeistigem Zuspruch kam.
Er ordnete zum beinahe unwilligen Erstaunen Josefas für Elena eine Beerdigung an wie für eine Infantin.
Dann saß man im verdunkelten Saal. Viele kamen, ihr Beileid auszusprechen. Am zweiten Tag konnte Goya die leeren, gezwungen traurigen Mienen der Besucher nicht mehr ertragen, er ging in sein Atelier.
Dort hockte, lag er, lief er ruhelos herum. Warf wohl auch mit dem Stift Träume aufs Papier, zerriß die Zeichnungen, ehe sie fertig waren.
Herein kam die Alba.
Er hatte sie erwartet, erfürchtet, ersehnt. Sie war schön. Ihr Gesicht war nicht maskenhaft, es war das Gesicht einer Liebenden, die kam, ihren Freund in seiner Not zu trösten. Goya mit seinen genauen Augen sah es, und er sagte sich: wenn sie ihn gekränkt hatte, hatte er sie tiefer gekränkt. Aber seine Vernunft wurde weggeschwemmt von der wilden, lustvollen Wut ihres Anblicks. Was er jemals gegen sie gespürt hatte, seitdem er sie damals hatte sitzen sehen auf ihrer Estrade, seinZorn über ihre frechen, grausamen Launen, der Unmut über seine eigene Gebundenheit, die Panik vor dem Schicksal, das sich dieser Frau bediente, um ihn zu quälen, das alles schwoll in ihm hoch.
Er schob die starke Unterlippe vor, sein fleischiges Gesicht, wiewohl er es zu halten suchte, zitterte voll unbändigen Hasses. Gegen ihren Willen wich sie zurück.
»Du! Du wagst zu kommen!« sagte er. »Erst bringst du mein Kind um, und jetzt kommst du, mich zu verhöhnen!«
Noch beherrschte sie sich. »Nimm dich zusammen, Francho«, bat sie. »Laß dich nicht verrückt machen von deinem Schmerz.«
Natürlich. Sie begriff nicht, was er litt. Sie war unfruchtbar. Sie konnte nichts hervorbringen, in ihr entstand nichts, kein Schmerz und keine Freude, nur leere Lust. Sie war unfruchtbar, eine Hexe, das Böse schlechthin, vom Teufel in die Welt geschickt.
»Du hast alles ganz genau gewußt«, ließ er seinen Zorn und Wahn aus sich herausbrechen. »Du hast dir’s so ausgerechnet. Du hast mir den Gedanken eingegeben, meiner Elena die Krankheit anzuwünschen. Entweder meine Elena sollte ich dir opfern oder meine Karriere, meine Kunst. Das war der Preis dafür, daß ich zu dir sollte kommen dürfen. Und dann hast du’s ein zweites Mal versucht, in Piedrahita, und hast mich nicht wollen zu Hofe gehen lassen, daß ich meinen Ruhm verliere und
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