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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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meine Kunst. Aber da bin ich dir nicht hereingefallen. Und jetzt verlangst du, daß ich ein Schandbild machen soll aus María Luisa. Alles willst du mir stehlen, meine Kinder, meine Karriere, meine Malerei. Für die Lust deines verfluchten, unfruchtbaren Schoßes« – er brauchte ein obszönes Wort – »willst du mich um alles bringen.«
    Grenzenloser Zorn faßte sie. Aus der Liebenden, der Trösterin verwandelte sie sich in die Alba, die späte Enkelin des Marschalls, des Verderbers. Es war Geschenk gewesen und große Gnade, daß sie diesem Menschen erlaubt hatte, auch nur das Wort an sie zu richten, daß sie ihn eine Luft mit sichhatte atmen lassen. Und nun fand der plumpe Bauer für seine dumme Reue über eine dumme Ausrede keinen bessern Ausweg, als sie zu beschimpfen. »Sie haben von Anfang an«, sagte sie leise, schneidend liebenswürdig, »zu nichts anderm getaugt, Señor Goya aus Fuendetodos, als zum Hofnarren. Ein Majo wollen Sie sein? Ein Bauer sind Sie geblieben in jedem Kostüm. Warum wohl, glauben Sie, haben die andern Sie herangelassen, die Osuna, die Medina Coeli? Sie wollten ihren Spaß haben an dem Tölpel und seinem Gewese. Man braucht keine Hexe zu sein, um Sie tanzen zu machen, Sie Pelele, Sie Hampelmann.« Noch sprach sie leise, aber ihre Kinderstimme war schrill und häßlich geworden.
    Er sah, wie sich ihre hohen Brauen in Wut zusammenzogen, und freute sich, daß er sie so zornig hatte machen können. Aber seine Genugtuung ging unter in Raserei, weil sie ein Wundes in ihm getroffen hatte, ihn gehöhnt um etwas, das er selber manchmal in seinem Heimlichsten geargwöhnt hatte. Aber es war nicht wahr, es durfte nicht wahr sein. Nicht aus Spaß und zum schieren Zeitvertreib haben sie ihn in ihr Bett gerufen, nicht die Osuna und nicht die Medina Coeli und nicht sie selber. Er denkt daran, wie sie unter ihm zerschmolzen ist, hundertmal, zerlöst in Lust, und er will ihr die gemeinsten, obszönsten Worte in das verfluchte, schöne, freche, hochmütige, zornige Gesicht werfen. Und dann wird er sie packen und zur Tür tragen und sie im Wortsinn vor die Tür schmeißen.
    Sie sieht ihn auf sich zukommen. Er wird sie schlagen. Sie wünscht, er möge sie schlagen. Dann freilich wird es aus sein. Vielleicht dann wird sie ihn umbringen. »Komm nur her, Bauer!« fordert sie ihn heraus. »Sei nur stolz, weil deine Arme kräftiger sind als die meinen! Sei nur –!«
    Allein er kommt nicht auf sie zu. Er schlägt sie nicht, und er packt sie nicht. Er hält inne mitten im Schritt. Er hat gesehen, wie sich ihre Lippen auftaten und schlossen, aber Worte hat er nicht gehört. Die Krankheit ist wieder über ihn gekommen, er ist taub.
    In den Sessel warf er sich. Die
    Hände vors Gesicht verzweifelt
    Schlug er.
    Sie begriff. Erschrak. Sie
    Lief zu ihm und streichelte, als
    Wäre er ein Kind, ihn. Er er-
    Hörte nicht, was sie ihm sagte,
    Sah nur ihre Lippen sich be-
    Wegen. Aber er verstand, es
    Waren sanfte Worte. Und die
    Augen schloß er. Er erschlaffte.
    Weinte.

20
    Der Tag Don Miguels war ausgefüllt mit politischer Tätigkeit, doch machte sie ihm weniger Freude als früher. Des Abends versuchte er, sich durch Beschäftigung mit Kunst abzulenken von seinem Kummer um Lucía und von dem steigenden Ärger über die Demütigung, welche der Dienst Don Manuels mit sich brachte.
    Wieder und wieder las er jenes Schreiben, in welchem sein großer Lehrmeister Niccolò Machiavell schildert, wie er nach seinem Sturze auf seinem Gütchen bei San Caciano lebt. Er steht mit der Sonne auf, geht in den Wald und gibt seinen Holzfällern Weisung. Dann geht er ein Stündlein spazieren, rastet an einer Quelle oder an einem Vogelherd, zieht sein Buch heraus, Dante, Petrarca, Tibull, Ovid oder einen ähnlichen Meister, liest von ihren Liebesgeschichten, denkt seiner eigenen und ergötzt sich eine Weile an solchen Erinnerungen. Dann geht er in das Wirtshaus an der Landstraße, befragt die Reisenden nach Neuigkeiten und erforscht, wie sie darüber denken. Kehrt zurück in seine kahle Behausung, um eine dürftige Mahlzeit einzunehmen. Geht wieder in die Schenke und spielt dort Brett oder Karten mit dem Wirt, dem Schlächter,dem Müller und zwei Ziegelbrennern; regelmäßig gibt es Streit um winzige Beträge, das Gezänk hallt wider bis ins Dorf San Caciano. Des Abends aber legt Machiavell sein schäbiges Kleid ab, zieht sich festlich an und begibt sich zu seinen Büchern, in die Gesellschaft der großen Alten. Mit ihnen unterhält er

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