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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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blieb, war das das Rechte? Gut, Don Diego hatte sie erreicht, jene Meisterschaft ohne Haß und Lieben, jene Interesselosigkeit der Kunst, von welcher Winckelmann und Raphael Mengs und sein toter Schwager soviel geschwatzt hatten, jene Meisterschaft ohnegleichen: aber wenn ihm, Francisco, heute der Teufel solche Meisterschaft darbötefür nichts, er würde sie nicht haben wollen, er würde sagen: »Muchas gracias, no!« Es war gut, daß dieses bewundernswerte, feierlich heitere und düstere Gemälde der Nackten Frau in der Welt war. Aber es war auch gut, daß nicht er, Goya, es gemacht hatte. Und er war glücklich, nicht nur weil er nicht in der stolzen Gruft der Kirche San Juan Bautista lag, sondern überhaupt, weil er der Maler Francisco Goya war und nicht der Maler Velázquez.
    Plötzlich war eine hohe, quäkende Stimme im Raum. »Die Dame ist eine träge Dame«, sagte die Stimme. »Seitdem ich sie kenne, liegt sie hier auf dem Diwan, schaut in den Spiegel und faulenzt.«
    Goya war herumgefahren. Da stand eine Mißgestalt, ein verkrüppelter und verschrumpfter Alter, sehr bunt gekleidet, geschmückt mit Medaillen und höchsten Orden. »Du sollst einen nicht immer erschrecken, Padilla«, tadelte, doch ohne Schroffheit, Cayetana, und sie setzte Goya auseinander, die Kreatur sei der Hofnarr ihres toten Großvaters, Padilla genannt; er lebe hier in Obhut des alten Verwalters und seiner Frau, scheu, selten ans Licht tauchend.
    »Sie tut gut daran, hier in Cádiz zu wohnen, die Doña Desnuda«, quäkte Padilla weiter. »Man ließe sie nirgendwo sonst wohnen. Dabei ist sie doch eine so vornehme Dame, in Wahrheit eine Grandin der Ersten Reihe. Seit hundertfünfzig Jahren hat sie keinen Finger gerührt.« Es galt aber für einen Granden jegliche Art von Arbeit als Schande.
    »Du mußt jetzt fortgehen, Padilla«, sagte, immer sanft, Cayetana, »du darfst den Herrn Ersten Maler nicht länger stören.« Padilla verbeugte sich, seine Orden klirrten, er ging.
    Cayetana saß im Sessel, sie schaute zu Goya auf, und lächelnd und gespannt fragte sie: »Glaubst du, Padilla hat recht? Glaubst du, sie war eine Grandin? Dem Tizian und dem Rubens sind große Damen nackt Modell gesessen, das ist erwiesen.« Und mit ihrer etwas harten, kindlichen Stimme wiederholte sie: »Glaubst du, sie war eine Grandin?«
    Francisco hatte bisher nur an den Maler gedacht und andas Bild und mit keinem kleinsten Gedanken an das Modell. Nun, indes Cayetana fragte, wußte er sogleich die Antwort: das gute Gedächtnis seines Auges machte ihn sicher. »Nein«, sagte er, »sie war keine Grandin, sie war eine Maja.« – »Vielleicht war sie eine Maja und eine Grandin«, sagte Cayetana. »Nein«, wies Francisco sie mit der gleichen Sicherheit zurück. »Sie ist von dem Bild ›Die Spinnerinnen‹«, erklärte er, »da ist kein Zweifel, die, welche das Garn vom Haspel abwickelt. Denk an den Rücken, den Hals, den Arm, denk an die Schultern, das Haar, die Haltung.
    Sie war eine Maja, keine
    Grandin«, schloß er, streitbar nicht, je-
    Doch entschieden.
    Cayetana
    Konnte sich der »Spinnerinnen«
    Nicht erinnern. Doch wahrscheinlich
    Hatte Francho recht. Sie war ent-
    Täuscht. Sie hatte es sich hübscher
    Vorgestellt, mit ihm vor diesem
    Bild zu stehn. Sie drückte auf den
    Knopf, und vor die nackte Göttin,
    Vor die nackte Spinn’rin, schob sich
    Die Mythologie.

34
    Als sie zu Abend aßen, erzählte Cayetana, angeregt wohl durch das Auftauchen des Hofnarren Padilla, aus ihrer Vergangenheit.
    Als Kind war sie mehrmals hier in Cádiz gewesen, mit ihrem Großvater, dem Zwölften Herzog von Alba. Dieser hatte als der stolzeste Mann Spaniens gegolten, er hatte keinen im Reich als gleichrangig angesehen, nur den König, und diesen, den grobschlächtigen Dritten Carlos, hatte er nichtausstehen können. Eine Zeitlang war er Botschafter in Frankreich gewesen und hatte den Hof des Fünfzehnten und des Sechzehnten Louis durch seinen Luxus und sein Zeremoniell in Bewunderung versetzt. Zurückgekehrt, hatte er die Inquisition herausgefordert; denn er stand so hoch, daß er sich trotz seiner Verehrung der Tradition gestatten durfte, »Philosoph« zu sein, Freidenker, was jedem andern verboten war. Er hatte sich einen jungen Menschen aus den Kerkern der Inquisition geholt, den man dort zum Krüppel gefoltert hatte, und ihn sich zum Hofnarren erzogen, eben den Zwerg, den sie heute gesehen hatten, er hatte ihn zu frechen und aufrührerischen Reden angestachelt, ihn Padilla

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