Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
heitern Himmel, eingerahmt von der blauen See mit dem spanischenund englischen Geschwader. Mehrmals machten sich schwarzgekleidete Frauen an Francisco heran und boten ihm Mädchen an unter saftigen Schilderungen; sie gaben ihm zu bedenken, es komme Solano auf, der schwüle, begierdenweckende afrikanische Wind, und er werde es bereuen, ihr Angebot verschmäht zu haben. »Solch ein hübscher, runder Schoß«, rühmten sie und malten ihn mit den Händen.
Francisco ging zurück in die engen Straßen der Stadt. Es war Zeit, sich zu Señor Martínez zu begeben.
Goya hatte viel über Sebastián Martínez gehört. Der galt als fortschrittlicher Mann und hatte manches dazu beigetragen, Ackerbau und Industrie in den überseeischen spanischen Reichen zu modernisieren. Er begnügte sich nicht, wie andere reiche Handelsherren von Cádiz, Profite anzuhäufen, er hatte vielmehr des öftern unter widrigen Umständen seine Flotte in Person nach Amerika geführt, und er hatte sich bei Zusammenstößen seiner Kaperschiffe mit dem Feind tapfer bewährt. Nach alledem war Francisco erstaunt, in Señor Martínez einen hageren Mann zu finden, der, mit betonter Unscheinbarkeit gekleidet, eher einem pedantischen Gelehrten glich als einem großen Handelsherrn, Politiker, Piraten.
Es erwies sich bald, daß ihm seine berühmten Kunstsammlungen weniger eine Angelegenheit des Prestiges waren als des Herzens und Verstandes. Er erklärte Goya liebevoll seine Schätze, er betonte, er habe seine Galerie selber katalogisiert, und beinahe stolzer als auf seine Gemälde und Skulpturen war er auf seine Sammlung von Reproduktionen von Werken, die in der Kunstgeschichte Geltung haben mochten. Sie sei so gut wie vollständig, rühmte er, ein Unikum in Spanien. »Dergleichen werden Sie bei dem Marqués de Xerena vergeblich suchen, Don Francisco«, sagte er und kicherte böse; es war aber der Marqués de Xerena der andere bekannte Sammler der Stadt Cádiz, der große Nebenbuhler des Señor Martínez. »Der Marqués geht ganz unmethodisch vor«, höhnte Señor Martínez. »Kauft hier einen Greco, dort einen Tizian, was ihm gerade gefällt. Mit so anarchischen Prinzipien kannman keine Sammlung aufbauen, die Anspruch auf künstlerische und wissenschaftliche Geltung erheben darf. Kunst ist Ordnung, wie Winckelmann, Mengs und nicht zuletzt Ihr verewigter Herr Schwager zu betonen pflegten.«
In drei Räumen waren Antiquitäten der Stadt Cádiz aufgestellt. Señor Martínez, als er sie seinem Besucher zeigte, sagte: »Ich bilde mir nichts darauf ein, daß ich die Wohlfahrt einiger unserer Königreiche jenseits des Ozeans gemehrt habe, auch nichts darauf, daß sich meine Flotten mehrmals den Engländern gewachsen zeigten: aber darauf bin ich stolz, daß ich dem ältesten bürgerlichen Geschlecht der ältesten Stadt Spaniens angehöre. Schon der Geschichtsschreiber Horozco erwähnt einen Antepasado von mir, einen Martínez, das war lange, bevor ein Marqués de Xerena genannt wird.« – »Kein schlimmerer Narr als ein gelehrter Narr«, dachte Goya das alte Sprichwort. Laut sagte er: »Das ist allerhand, Don Sebastián.« Aber: »Nennen Sie mich, bitte, nicht ›Don‹, Exzellenz«, erwiderte Martínez. »Ich bin kein Don Sebastián de Martínez, ich bin ein simpler Señor Martínez.«
Er wies jetzt die älteste Darstellung des Wappens seiner Stadt vor, ein Relief, das ein längst nicht mehr vorhandenes Stadttor geschmückt hatte. Das Relief zeigte die Säulen, welche Herkules errichtet hatte, als er hierhergekommen war in dieses westlichste Land der bewohnten Welt. »Non plus ultra – Bis hierher und nicht weiter«, hatte Herkules gesagt, und so stand es auf dem Wappen. Freilich hatte er’s nicht lateinisch gesagt, sondern griechisch: »Uketi proso«, und Señor Martínez zitierte griechisch die schönen Verse des Pindar, denen die Worte entnommen waren. Eigentlich aber hatte er’s auch nicht griechisch gesagt, sondern phönizisch; denn Herkules war gar nicht Herkules gewesen, wir Caditaner sind ja viel älter als Herkules, sondern der phönizische Gott Melkart, jener Melkart, der auf unserm andern Stadtwappen zu sehen ist, wie er den Löwen erwürgt. Wie immer, Kaiser Karl der Fünfte hatte dann den stolzen Wappenspruch usurpiert, aber er hatte das »non« gestrichen. »Plus ultra – Immer weiter«, hatte er die Devisegesetzt, und so wie er hatten es auch die Antepasados des Sebastián Martínez gehalten, diese wackern Bürger, und waren auf ihren kühnen
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