Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
sichtbar. Es war aber diese nackte Frau nicht von einem Ausländer gemalt, sie war nicht in Antwerpen entstanden und nicht in Venedig – solcher ausländischer Bilder hingen manche in den königlichen Schlössern oder auch im Schlosse dieses oder jenes Granden: nein, das Bild, vor dem jetzt Francisco stand, war von spanischer Hand gemalt, es konnte nur von einem gemalt sein, von Diego Velázquez. Es war, des war kein Zweifel, jenes Bild, von dem ihm Don Antonio Ponz erzählt hatte und gelegentlich auch Miguel. Es war jene kühne, verbotene, verrufene, gefeierte »Doña Desnuda«, die »Nackte Frau« des Velázquez, eine Psyche oder Venus oder wie immer man sie nennen wollte,und jedenfalls eine sehr wirkliche nackte Frau. Sie war nicht rosig und fleischig, nicht weiß und überquellend fett, keine Italienerin des Tizian, keine Holländerin des Rubens: sie war ein wunderbares spanisches Mädchen, und sie existierte also wirklich, die Doña Desnuda des Velázquez, und Francisco Goya stand vor ihr.
Er vergaß, daß das Bild seine hundertfünfzig Jahre alt war, daß er in Cádiz war, daß Cayetana neben ihm war. Er schaute auf das Bild des Kollegen, als wäre es soeben erst fertig geworden, auf das kühnste, verbotenste Bild des Kollegen Velázquez: die Doña Desnuda.
Ein jeder wohl wählte sich einen Menschen, einen lebenden oder toten, ihm nachzuleben. Wenn sich Francisco Goya vom Schicksal etwas hätte ausbitten dürfen, dann wäre es die Kunst und der Ruhm des Velázquez gewesen; er ließ unter den Spaniern keinen großen Meister gelten außer dem Diego Velázquez. Nächst der Natur war dieser Don Diego sein Lehrmeister, und er hatte zeit seines Lebens darum gerungen, dessen Malerei ganz zu verstehen. Da war nun dieses große, neue, geheimnisvolle, hochberühmte Bild. Goya, schnell im Fühlen und im Wahrnehmen, schnell im Lieben, Hassen, Verehren und Verachten, spürte, noch ehe eine halbe Minute vergangen war: er bewunderte das Bild, und er lehnte es ab.
Er bewunderte, wie natürlich die sehr anmutige Frau gelagert war, ohne lässig zu erscheinen; seine eigenen, Franciscos, Menschen schwebten oft in der Luft, statt zu sitzen oder zu liegen. Er bewunderte die List, mit welcher der Kollege das Antlitz der Frau im Dämmer des unklaren Spiegels gelassen und alle Aufmerksamkeit des Beschauers auf die wunderbaren Linien des Körpers gelenkt hatte, auf die Kontur des liegenden, sehr spanischen Frauenleibes mit seiner schmalen Taille und dem stark entwickelten Becken.
Vor allem aber bewunderte er, daß Don Diego überhaupt es unternommen hatte, dieses Bild zu malen. Das Verbot der Inquisition, Nacktheit im Bilde darzustellen, war eindeutig und streng, und kein anderer spanischer Meister hatte es gewagt,dieses Lockendste zu malen, nacktes weibliches Fleisch. Don Diego mochte gedeckt gewesen sein durch die Gunst seines Königs oder eines mächtigen Auftraggebers, aber sicher hatten auch am Hofe des Vierten Philipp die Priester und Mucker Macht und Einfluß gehabt, und die Launen der großen Herren waren unbeständig. Velázquez hatte diese Frau gemalt, weil es ihn reizte zu zeigen, daß man Nacktheit auch anders darstellen konnte als auf die Art des Tizian und Rubens. Er hatte Gefahr auf sich genommen, weil er ein großer Künstler war und voll von spanischem Stolz, weil er hatte beweisen wollen, daß wir Spanier auch das können.
Er hat es bewiesen. Wunderbar, wie die Farben ineinandergingen, das Perlmutter des Fleisches, das weißliche Schleiertuch, das grünliche Grau des Spiegels, das dunkle Braun des Haares, die rötlich violetten Bänder des nackten Knaben, die ganz leichten Regenbogentöne seiner Flügel. Zart, leicht, streng und elegant war diese nackte Frau gemalt, nichts Billiges war da, nichts von der grellen, lauten Lust, die von dem Weiberfleisch der Italiener und Holländer ausging. Vielmehr war etwas leicht Düsteres über dem Bild, und das Schwarz des Tuches, auf dem die Frau lag, der dunkelrote Vorhang, der schwarze Rahmen des Spiegels, das ganze ernste Kolorit hielt jede Vertraulichkeit fern. Don Diego war Spanier. Für ihn hatten Schönheit und Liebe nichts Leichtes, Lockeres, sie waren etwas Ernstes, Wildes und sehr oft der Eingang zu Schwerem, Tragischem.
Francisco schaute und bewunderte. Daß man schaue und bewundere, hatte wohl Don Diego gewollt. Aber wenn einer eine Frau malte in den wunderbaren Farben des Fleisches, welche die Natur ihr gegeben, und sie so malte, daß man bewunderte und kalt
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