Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
empfänglich war. Er wollte den korrekten Freund, der, bei aller gespielten Gelassenheit, sicher höchst gespannt war auf das neue Werk, seine kostbaren Prinzipien wieder einmal in langen Erörterungen von sich geben lassen, ehe er ihn mit der flirrenden Doña Lucía überraschte. Er hatte also die gemalte Dame mit all ihrer Luft und ihrem Licht und ihrer Schönheit gegen die Wand gekehrt, so daß nur der rauhe, nackte, graubraune Rücken des Bildes sichtbar war.
Es kam, wie er sich’s erwartet hatte. Don Miguel saß da, ein Bein übers andere geschlagen, und wies, ein kleines Lächeln auf dem weißen, leicht gepuderten, viereckigen, klarstirnigen Gesicht, auf eine große Mappe, die er mitgebracht hatte. »Es ist mir geglückt«, führte er aus, »trotz des Krieges dieser Pariser Stiche habhaft zu werden. Da werdet ihr Augen machen, meine Lieben, du, Francisco, und Sie, Don Agustín. Die Stiche sind von Morel und geben wieder das Wichtigste, was Jacques-Louis David in diesen letzten Jahren geschaffen hat.« Es war aber Jacques-Louis David der bekannteste Maler Frankreichs, das Haupt jener klassischen Schule, welche Señor Bermúdez so hoch schätzte.
Die Stiche stellten neben Szenen aus dem klassischen Altertum Menschen und Vorgänge der allerneuesten Geschichte dar, auch sie gehalten in antiker Manier: die französischen Abgeordneten etwa in der Tennishalle, schwörend, sie würden keine weitere Willkür der Tyrannei dulden, Porträts ferner des Danton und des Desmoulins, und vor allem war da Marat, ermordet in der Badewanne.
Das Werk des französischen Malers war dem Wesen und dem Werk Franciscos entgegengesetzt. Doch konnte keiner besser erkennen als er, mit wieviel Kunst diese Bilder gemacht waren. Der tote Marat zum Beispiel. Schlaff nach der Seite lehnte sein Kopf, schlaff fiel der rechte Arm aus der Wanne, während die Linke noch die Bittschrift hielt, welche die listige Mörderin überbracht hatte. Mit kalter Meisterhand war das gemacht, mit überlegener Ruhe, und trotzdem: wie war es erregend. Wie schön und groß bei aller Realistik sprang das häßliche Gesicht des Toten einen an. Wie sehr mußte der Maler diesen »Freund des Volkes« geliebt haben. So stark traf das Geschehnis des Bildes in seiner scheußlichen und großartigen Wirklichkeit den schauenden Goya, daß er für eine Weile nicht mehr der Künstler war, der kritisch das Werk des andern prüft; vielmehr packte ihn Beklemmung, die Angst vor dem Schicksal, das auf einen jeden lauert, ihn aus dem Hinterhalt anzufallen, vor der Staffelei, während manarbeitet, im Bett, wenn man liebt, im Bade, wenn man sich entspannt.
»Es friert einen, wenn man seine Bilder anschaut«, sagte er schließlich. »Ein großer, verabscheuungswürdiger Mann«, und alle dachten daran, wie der Maler und Revolutionär David im Nationalkonvent für den Tod seines Gönners, des Sechzehnten Louis, gestimmt hatte. »Auch nicht auf einen Monat«, schloß Goya, »möchte ich sein Leben gegen das meine eintauschen, nicht für den Ruhm des Velázquez.«
Señor Bermúdez aber erläuterte, wie sich an den Bildern des Franzosen wieder einmal erweise, daß alle wahre Kunst auf dem Studium der Antike basiere. Auf nichts als auf die Linie kam es an. Die Farbe war ein notwendiges Übel und hatte eine einzige Funktion: die, zu gehorchen.
Francisco grinste gutmütig. Nun aber mischte Don Agustín sich ein. Er hatte Respekt, ja, Bewunderung vor der tapfern und gleichwohl geschmeidigen Politik des Señor Bermúdez. Aber alles andere an dem Mann stieß ihn ab. Vor allem verdroß ihn seine Trockenheit, seine pedantische, enthusiastische Schulmeisterei. Es war nicht zu begreifen, daß eine so delikate und lieblich krause Dame wie Doña Lucía diesen Menschen hatte heiraten können, der nichts war als eine zweibeinige Enzyklopädie und im Innersten steril. Grimmig freute er sich darauf, ihn und seine ganze albern gelehrte Theorie vor Doña Lucía durch das Werk Franciscos zuschanden zu machen.
Er tat den breiten, dünnen, mürrischen Mund auf und sagte mit seiner schollerigen Stimme ungewöhnlich höflich: »Die Bilder Davids, die Sie uns da haben sehen lassen, Don Miguel, scheinen wirklich ein Gipfel.« – » Der Gipfel«, verbesserte Bermúdez. » Der Gipfel«, gab Agustín zu. »Trotzdem könnte ich mir vorstellen«, fuhr er mit tückischer Freundlichkeit fort, »daß man auch mit der von Ihnen so gescholtenen Farbe neue, überraschende Wirkungen erzielen könnte. Gipfel-Wirkungen.«
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