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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Und stakigen Schrittes ging er zur Wand und hob mit kräftiger Bewegung die Leinwand hoch, die dort graubraun lehnte.
    »Ich kann mir schon denken«, sagte lächelnd Don Miguel, »wovon Sie sprechen, Don Agustín. Wir sind beide, Doña Lucía und ich, gespannt auf das Porträt, das so lange –« Er vollendete den Satz nicht. Denn jetzt schaute von der Staffelei die gemalte, flirrende Lucía.
    Er stand und schwieg. Der Kunstkenner, gewohnt, Bilder an seinen wohlerwogenen Theorien zu messen, vergaß seine Prinzipien. Die Frau auf der Leinwand war die Lucía, die er kannte, und gleichzeitig eine verwirrend andere. Wiederum gegen seine Grundsätze schaute er hinüber zu der Lucía in Fleisch und Blut, seine Bestürzung nur mit Mühe verbergend.
    Damals, vor Jahren, als er sie heiratete, war Lucía eine »Maja« gewesen, ein Mädchen aus dem Volk, impulsiv, unberechenbar, und sie zu heiraten, war ein Entschluß gewesen, ebenso schnell wie kühn und gefährlich. Aber Instinkt, Erfahrung und das Studium der Klassiker hatten ihn gelehrt, daß, wer nicht rasch zugreift, häufig leer ausgeht und daß die Götter einem Sterblichen die große Gelegenheit nur einmal zuwerfen. Er hatte auch seine rasche Tat nie bereut. Er liebte und begehrte seine schöne Frau heute wie am ersten Tag; sie hatte sich überdies aus dem zweideutigen Mädchen von der Straße in eine repräsentative Señora Bermúdez verwandelt, um die man ihn beneidete. Eine Dame der Gesellschaft, begehrenswert und repräsentativ, sah sie ihn auch von der Leinwand her an, aber da war um sie herum ein Ungreifbares, Silbriges, Schillerndes, und Don Miguel wußte auf einmal: die Lucía, die er doch während dieser Jahre bis in ihr Letztes ergründet zu haben glaubte, war ihm heute noch so erregend und fremd, so bedrohlich unberechenbar wie am ersten Tag, auch heute noch eine Maja.
    Goya nahm mit heiterer Genugtuung die Verblüffung wahr auf dem sonst so beherrschten Antlitz des Freundes. Ja, mein lieber Miguel, die Methoden deines Monsieur David sind gut; klare Linien sind eine gute Sache, und klare Dinge lassen sich damit klar wiedergeben. Aber Welt und Menschensind nun einmal nicht klar. Das Bösartige, das Gefährliche, das Kobold- und Hexenhafte, das Dahinter, das läßt sich mit deinen Mitteln nicht malen, das kann man den verehrten Alten nicht abschauen. Da wissen sich dein Winckelmann und dein Mengs und da weißt auch du dir keinen Rat.
    Er selber, Francisco, blickte von der gemalten Frau zu der lebendigen. Die stand da, tief schweigend und schauend auch sie. Ihre schmalen, schrägen Augen unter den hohen, höflich befremdeten Augenbrauen schauten auf das flirrende Licht, welches sie auf dem Bilde umspielte, ihr launisches Gesicht hatte etwas von seiner Maskenhaftigkeit abgelegt, ihr breiter Mund hatte sich leicht geöffnet, ein Lächeln war um ihn, doch nicht fein und spöttisch wie sonst zumeist, sondern tiefer, gefährlicher, wohl auch vulgärer, lasterhafter. Und plötzlich erinnerte sich Francisco Goya einer Episode, die er vergessen und lange gesucht hatte. Einmal war er mit einer Frau im Prado spazierengegangen, es war viele Jahre her, und eine Avellanera, eine Mandelverkäuferin, halbwüchsig, sie mochte vierzehn oder fünfzehn sein, hatte sich an ihn herangemacht. Er hatte Mandeln für seine Dame kaufen wollen, das Kind hatte ihn überfordert, er hatte einen niedrigeren Preis geboten, und die junge Verkäuferin, eine richtige Maja, hatte ihn ertränkt in einem Strom von Hohn und Geschimpfe: »Zwei Realen. Ich will meinen Patron fragen. Warten Sie hier, schöner Herr, in einem halben Jahr bin ich zurück mit der Antwort.« Und sie hatte andere ihrer Rotte herbeigeschrien: »Kommt her, meine Lieben. Hier ist einer, der das Geld springen läßt. Er hat die Spendierhosen an. Er will zwei Realen für seine Dame springen lassen.« Und beschämt und zornig hatte er dem frechen Balg die fünf Realen hingeworfen. Es war ihm ein Triumph, daß er etwas aus dieser abgelebten Zeit in seine Lucía hineingemalt hatte, etwas von dieser vulgär spitzbübischen Lucía und ihrer verfänglichen Lust an dreisten Antworten und derben Späßen. Und es war ihm ein Triumph, daß sein Bild sie trieb, die Maske ein wenig zu lüften.
    Don Agustín seinesteils, als jetzt Lucía vor dem Porträt stand, sah, wie die Schönheit der Frau im Fleische die Schönheit des Bildes erhöhte, und die Herrlichkeit des Bildes die Herrlichkeit der Frau, und das Herz war ihm gepreßt von Begierde

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