Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
und von Genuß.
Noch immer schwiegen alle. Da endlich tat Doña Lucía den Mund auf. »Ich habe gar nicht gewußt«, sagte sie mit ihrer etwas schleppenden Stimme zu Don Francisco, »daß ich auch lasterhaft bin.« Diesmal aber verriet ihr spielerischer Ton und ihr Lächeln mehr, als es versteckte. Sie forderte Francisco heraus, des war kein Zweifel, sie schickte sich an, gerade in Gegenwart ihres Mannes, seines Freundes, ein bedenkliches Spiel mit ihm zu beginnen. Er aber begnügte sich, sehr höflich zu erwidern: »Es freut mich, daß mein Porträt Ihnen gefällt, Doña Lucía.«
Diese Wechselreden rissen Agustín aus seiner Verzückung und brachten ihn zurück auf sein Geschäft, die Demütigung Don Miguels. »Ich bin neugierig«, sagte er mit seiner brüchigen Stimme, »ob auch der Herr Gemahl so zufrieden ist mit dem Bilde wie Sie.«
Don Miguel hatte sich nach der ersten Betroffenheit bemüht, die allzu persönlichen Gesichtspunkte zurückzudrängen, doch der Kunsttheoretiker stand vor dem Gemälde nicht weniger verwirrt wie der Mann der Doña Lucía. Er konnte es nicht leugnen: dieses regelwidrige Produkt bewegte ihn, sprach ihn an, es war schön. »Das ist alles ganz falsch«, sagte er schließlich, »aber ich gebe zu, es ist großartig.« – »Sie sind ein Bekenner«, sagte Agustín und grinste über sein knochiges Gesicht.
Der ehrliche Miguel aber rang sich noch stärkere Anerkennung ab. »Ich habe dich doch gesehen, Lucía«, sagte er, »in diesem gelben Kleid, bei dem Ball Don Manuels, und du sahst wunderbar aus in dem Licht der vielen Kerzen. Aber auf dem Bild siehst du noch schöner aus. Und dabei bleibt dieser Teufelsmensch durchaus bei der Wahrheit. Wie hast du es nur angestellt, Francisco?« – »Das kann ich Ihnen sagen,Don Miguel«, erklärte trocken Agustín, »es gibt eben mehr als die Wahrheit.«
Doch vermochten die Anrempelungen Agustíns Don Miguel nicht zu ärgern, und auch die Beklemmungen und Bedenken, welche ihm das Porträt bereitet hatte, quälten ihn nicht länger. Er war ein fanatischer Sammler großer Kunst, und sein Herz wärmte sich an der Freude, daß ihm für wenig oder eigentlich für nichts dieses zwar regelwidrige, aber erregende und kunsthistorisch bedeutsame Gemälde zufallen sollte.
Die wichtigsten Geschäfte Don Manuels lagen in seiner Hand, seine Zeit war bemessen. Trotzdem verzog er im Atelier des Freundes. Ein Bein über das andere geschlagen, mechanisch mit den Davidschen Stichen spielend, meinte er: »Ich bin neugierig, Francisco, ob du deine neue Methode auch anwenden wirst, wenn du jetzt meinen Herzog porträtierst.« Und da Goya hochsah, fuhr er fort, sehr beiläufig: »Denn selbstverständlich werden wir jetzt, nachdem Don Manuel das Ministerpräsidium übernommen hat, dich bitten müssen, mindestens zwei weitere Porträts von ihm zu malen, und wir benötigen eine ganze Reihe von Kopien für die Ministerien und für die öffentlichen Institute.« Goya freute sich. Sein Freund Miguel ließ sich nichts schenken; er bezahlte nichts für Lucías Porträt, aber er verschaffte ihm den ehrenvollen und einträglichen Auftrag. Der Fall Toulons griff wahrhaftig in sein Leben ein; er nötigte ihm die Sorge für Pepa auf, doch brachte er ihm auch den dicken Auftrag.
Don Miguel, mittlerweile, im gleichen, leichten, beiläufigen Ton, fuhr fort: »Wenn es dir recht ist, arrangiere ich also eine längere Sitzung in den allernächsten Tagen, beginnend beim Lever.« – »Das ist besonders freundlich von dir«, bedankte sich Francisco.
Allein Señor Bermúdez war noch nicht zu Ende. »Es wird sich manches ändern«, plauderte er, »nun Don Manuel in Person die Leitung der Geschäfte übernommen hat. Das Land wird sich daran gewöhnen müssen, die Französische Republikals einen Faktor anzuschauen, der sich nicht mehr aus der Welt schaffen läßt.« Agustín sah hoch. »Verstehe ich Sie recht«, fragte er eifrig, »wird Don Manuel die Innenpolitik des Landes wieder auf die früheren Prinzipien stellen? Beabsichtigt er, gewisse Maßnahmen gegen die Liberalen aufzuheben?« – »Eben das«, erwiderte Bermúdez, und, immer mit den Stichen spielend, ohne Francisco anzuschauen, wandte er sich an diesen: »Übrigens könntest du uns helfen, Francisco. Du weißt, wie gerne dich Don Manuel um sich sieht. Vielleicht könntest du ihm bei deinen Sitzungen eine gewisse politische Maßnahme nahelegen.« Und noch leichter, im Konversationston, mit dem übergeschlagenen Bein wippend,
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