Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
seinethalb nichts aufgeben, was sie sich vorgenommen hat.
Da hockt er jetzt und schläft, vor Erschöpfung und vor Verzweiflung, ein sehr unglücklicher Mann, unglücklich durch sie, wie er glücklich war durch sie und wie er, immer wieder, glücklich und unglücklich sein wird durch sie.
Und sie tritt an ihn heran und
Spricht zu ihm; denn einmal muß sie
Es ihm sagen, und er hört’s ja
Nicht, er schläft, und schlief er nicht, er
Hört’ es auch nicht. Er indes, er
Hört es, hört, wie ihre kindlich
Harte Stimme sagt: »Du bist ja
So dumm, Francho, und du weißt ja
Gar nichts. Ich hab immer dich, nur
Dich geliebt, du dummer Francho,
Stets nur dich, du dummer, alter,
Dicker Mann und Majo, und du
Hast es nicht gemerkt und glaubst, ich
Will mit andern in die Hölle
Fliegen. Ach, du häßlicher und
Einz’ger Mann, wie bist du dumm! Ich
Mag nur dich und immer dich, du
Frecher Maler. Stets nur dich.« Er
Aber rührt sich nicht, er schläft, er
Atmet hörbar, bis sie aus dem
Zimmer ist.
39
Er freute sich der List, daß er sich verstellt hatte, und schlief gut in dieser Nacht.
Als er am nächsten Tag erwachte, merkte er mit Schrecken, daß er nun wieder sein Gehör ganz verloren hatte und endgültig eingeschlossen war in die dunkle Glocke der Taubheit. Mit Groll und Lust bedachte er, daß die letzten Laute, die er in dieser Welt gehört hatte, die Worte Cayetanas waren, und daß es sein Verdienst war, seine List, die sie ihr entlockt hatte.
Die Stunde war da, da sie zu kommen pflegte. Er lief zum Fenster, spähte hinaus, er öffnete die Tür und spähte auf den Gang, denn er konnte sie ja nicht hören, wenn sie kam. Eine halbe Stunde verging. Offenbar kam sie nicht. War es denkbar, daß sie nach dem, was sie zu ihm gesprochen hatte, mit dem Gecken weggefahren war?
Peral kam zu ihm, forderte ihn auf, mit ihm zu Mittag zu essen. Francisco, so beiläufig es ihm möglich war, fragte: »Ist Doña Cayetana eigentlich abgereist?« – »Hat sie sich denn nicht von Ihnen verabschiedet?« fragte erstaunt Peral zurück. »Sie ging doch zu Ihnen, sich zu verabschieden.«
Nach dem Essen führten sie ein langes Gespräch. Goyawurde ungeduldig, wenn Peral immer wieder versuchte, sich ihm durch deutliche Artikulation verständlich zu machen, ehe er seinen Satz aufschrieb. Er schämte sich seines Gebrechens. Er spähte in Perals Gesicht, das er so gut kannte, nach einem Zeichen der Schadenfreude. Er fand keines, aber er blieb mißtrauisch. Er wird in Zukunft vor jedem Mißtrauen haben, man wird ihn für einen grämlichen Burschen halten, für einen Menschenfeind, und er ist es so gar nicht, er liebt gute, lärmende Geselligkeit, er will seine Freude und seinen Schmerz teilen können, und daß sein Ohr versperrt ist, wird ihm den Mund verschließen.
Peral zeichnete ihm das innere Ohr auf und suchte ihm zu erklären, welches sein Leiden sei. Viel Hoffnung bestehe nicht, und er solle doch beginnen, die Zeichensprache zu erlernen. Ein Franzose, der Docteur de l’Épée, habe eine gute Methode gefunden, mehrere Leute in Cádiz beherrschten sie, und es wäre gut, wenn Goya bald mit den Übungen anfinge. »Ja«, antwortete grimmig Goya, »mit lauter Krüppeln soll ich verkehren, mit Taubstummen, nur mehr mit Krüppeln. In der Gesellschaft von normalen Menschen bin ich nicht mehr erwünscht.«
Gerade die lahmen Tröstungen und Hilfsmittel des Arztes zeigten ihm, wie furchtbar er in Zukunft zu leiden haben wird unter der grauenhaften Stummheit der Welt. Und wird er überhaupt jemals wieder mit einer Frau schlafen können? Bisher war immer er der Gebende gewesen; wird nicht fortan das Gefühl ihn lähmen, daß sich eine Frau zu ihm, dem Krüppel, nur aus Gnade herabläßt? Oh, sie hatten ihm eine scharfe Strafe ausgesucht, die Dämonen, weil er aus übler Leidenschaft sein Kind geopfert hatte und beinahe auch seine Kunst. »Sagen Sie«, fragte er unvermittelt Peral, »was ist nun wirklich die Ursache meiner Krankheit?«
Doktor Peral hatte diese Frage erwartet, sich davor gefürchtet, sie ersehnt. Er hatte sich seit langem ein deutliches Bild gemacht von Goyas Krankheit, und seitdem dieser den letzten furchtbaren Anfall erlitten hatte, überlegte er, ob erihm nicht die Wahrheit mitteilen solle. Er zweifelte. Er bewunderte Goyas Kunst, er liebte sein saftiges, überströmendes Wesen, aber er beneidete ihn auch um seine Gabe, alle Menschen anzuziehen, um das Vertrauen in sein Glück, um seine selbstverständliche
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