Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Priesters Antwort nicht hören, und wenn er’s Peral sagt, dann hält es dieser nur für einen neuen Beweis seiner Narrheit.
Peral war ein überaus kluger Arzt. Sicher hat er ihn schon seit langem durchschaut, sicher schon seit Jahren gewußt um seine Verrücktheit. Er war ja auch verrückt, schon seit ewiger Zeit. Wie viele Anfälle von Wut und Wahn hatten ihn heimgesucht schon seit Jahren! Wie viele Gespenster und Dämonen hatte er gesehen, höchst greifbare, er allein, keiner außer ihm! Und das war gewesen, solange ihm die Welt noch Stimme hatte; wie wird es jetzt erst sein, da um ihn die unerträgliche Stummheit ist.
Wird er jemals wieder unter-
Scheiden können, was für jeden
Wirklich ist, was nur für ihn? Und
Welche Cayetana ist die
Wahre? Die er als Duquesa
Malte? Die als nackte Wollust
Er gemalt? Die er als Hexe
Malte, als unschuldige, hin-
Schwebend durch die Lüfte?
Oh, da
Sind sie wieder, die Dämonen!
Heller Tag ist’s, und er hat es
Stets gewußt: die Ungeheuer,
Die bei Tage kommen, sind die
Schlimmsten, viel gefährlicher als
Die der Nacht. Er träumt und ist doch
Furchtbar wach. Er wirft sich
Übern Tisch, verzweifelt, um sie
Nicht zu sehen, doch er sieht sie.
Sie sind in ihm, sind er selber,
Sind gleichzeitig in und außer
Ihm.
40
Peral berichtete ihm, Doña Cayetana werde in etwa zehn Tagen zurück sein.
Goya schob die Unterlippe vor, verfinsterte sich. Sagte: »Ich reise in drei Tagen ab.« – »Das wird Doña Cayetana bestimmt bedauern«, antwortete Peral. »Sie rechnet damit, Sie hier vorzufinden. Auch als Arzt möchte ich Ihnen abraten, jetzt schon eine so lange und beschwerliche Reise zu unternehmen. Sie sollten sich erst in Ihren neuen Zustand eingewöhnen.« – »Ich reise in drei Tagen«, erwiderte Goya. Peral, nach einem kleinen Schweigen, bot ihm an: »Soll ich Sie begleiten?« – »Sie sind sehr freundlich, Don Joaquín«, antwortete grimmig Goya. »Aber es wäre bitter, wenn ich in Zukunft immer nur mit Wärter und Gefolge sollte reisen können.« – »Ich lasse also den großen Reisewagen für Sie bereitstellen«, sagte Peral. »Danke, Doktor«, antwortete Goya. »Ich nehme den großen Wagen nicht. Auch nicht Extrapost. Auch nicht die gewöhnliche Post. Ich nehme mir einen Maultiertreiber. Ich lasse mir den Gil kommen, den Treiber aus der Venta de las Cuatro Naciones. Das ist ein guter Mann. Wenn ich ihm eine Gratificacioncita gebe, ein kleines Trinkgeld, dann paßt er auf mich auf und nimmt Rücksicht auf mein Gebrechen.« Und da Peral sein Erstaunen nicht verbergen konnte, schloß Goya gereizt: »Schauen Sie nicht so verwundert, Don Joaquín. Ich bin nicht verrückt. Ich habe meine guten Gründe.«
Er konnte den Anblick der Frau, die ihn in seinem Elend verlassen hatte, nicht ertragen. Er mußte sogleich fort von Sanlúcar, das wußte er. Und ebenso klar war ihm, daß er die Reise nicht in großem Staat vornehmen durfte, nicht als Erster Maler des Königs. Er mußte, da hatte Doktor Peral ganz recht, sich seinem neuen Zustand anpassen. Mußte diesen Zustand genau kennenlernen. Mußte die Demütigungen seines Gebrechens bis ins letzte ausschmecken. Dann erst, voll bewußt seines neuen Standes, kann er seinen Nächsten wieder unter die Augen treten, dem Hofe, seinen Kunstbrüdern. Darum wird er als einfacher Mann durch sein Spanien reisen und sich daran gewöhnen, sein Leiden zu offenbaren und sich zu entschuldigen. »Verzeihen Euer Gnaden«, wird er sagen, zehnmal des Tages, »ich höre nicht gut, ich bin gewissermaßen stocktaub.«
Auch wird er nicht geraden Wegs nach Madrid reisen. Er wird statt dessen noch viel weiter nach Norden gehen. Wird, Madrid vermeidend, nach Aragón gehen, nach Saragossa, um seinem Freunde, seinem Herzensmartín, seinen ganzen Jammer vorzuführen. Dann erst, von Zapater beraten und getröstet, wird er Josefa sehen, die Kinder, die Freunde.
Der Maultiertreiber Gil, mit dem Francisco schon in der Venta von Sanlúcar einige kräftige Gespräche geführt hatte, war ein richtiger Arriero, ein Maultiertreiber altspanischen Schlages, der sein Arré, Arré herausheulen konnte, daß die Berge weithin widerklangen. Da er unterrichtet war, Don Francisco wolle seine Dienste in Anspruch nehmen, stellte er sich in der Casa de Haro in seiner farbig-fröhlichen Berufstracht ein. Um den Kopf trug er ein buntes Seidentuch, die Alhambra war darauf gemalt, die Zipfel hingen ihm zopfartig nach hinten; darüber trug er den spitzen,
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