Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
nicht
    Weiter. Jene Welle war, der
    Anfall, der gefürchtete, war
    Über ihn gekommen. Schlaff, ver-
    Fallen, lahm, im Sessel hockte
    Er, das Antlitz eine Maske
    Der Vernichtung.

38
    Stunden hindurch verharrte Francisco gelähmt, in verzweifelter Stumpfheit. Immer von neuem gingen durch sein Hirn die gleichen platten Phrasen: Das kommt davon … Ich war verrückt, ich werde verrückt … Jetzt hat sie mich ganz hineingetunkt, das Luder … Das kommt davon … Jetzt bin ich für immer unten durch. Dann sagte er diese Worte vor sich hin, sehr laut. Er glaubte sie zu hören, er wußte, er hörte sie nicht. Trat vor den Spiegel, sah sich den Mund öffnen und schließen, hörte nicht, was er sprach. Bei früheren Anfällen waren ihm zuerst die hohen Töne verstummt, ganz zuletzt erst die tiefen. Er sprach mit sehr tiefer Stimme und sehr laut. Hörte nichts. Bei früheren Anfällen hatte er von sehr lauten Geräuschen einen leisen Widerklang gehört. Er warf eine Vase auf den Steinboden, sah sie zersplittern, hörte nichts.
    »Das kommt davon«, sagte er. »Betrogen, hereingelegt, beschwindelt. Mein Kind umgebracht, meine Karriere kaputtgeschlagen, mein Gehör gestohlen.« Rasender Zorn fiel ihn an, er häufte Fluchworte. Zerschlug den Spiegel, der ihr Bild aufgenommen hatte. Sah bestürzt seine zerschnittene, blutende Hand. Dann fiel er in grimmige Resignation. »Trágalo, perro – Schluck’s, du Hund«, sagte er sich und blieb hocken in verzweifelter Stumpfheit.
    Peral kam. Bemühte sich, sehr deutlich zu sprechen, daß ihm Francisco die Worte vom Mund ablesen könne. Der saß da, ein Bild verstockter Verzweiflung. Peral schrieb ihm auf: »Ich gebe Ihnen ein beruhigendes Mittel. Legen Sie sich hin.« – »Ich mag nicht!« schrie Goya. »Nehmen Sie Vernunft an«, schrieb Peral. »Nach einem langen Schlaf wird alles besser sein.« Er kam zurück mit dem Trank. Goya schlug ihn ihm aus der Hand. »Ich laß mich nicht auch umbringen«, sagte er, diesmal leise, doch sehr finster, und wußte nicht, ob er’s gesagt hatte. Peral schaute ihn an, nachdenklich, nicht ohne Mitleid, dann ging er, ohne zu erwidern. Nach einer Stunde kam er zurück. »Soll ich Ihnen jetzt den Trank geben?« fragte er. Goya antwortete nicht, saß da, die Unterlippe vorgeschoben. Peral mischte ihm den Trank, Goya nahm ihn.
    Langsam, erwachend aus endlosem Schlaf, tauchte er herauf in seine Wirklichkeit. Er sah, daß seine Hand verbunden war. Er sah, daß ein neuer Spiegel da war, der nicht besudelt worden war von Cayetanas lügnerischem Bild. Er stand auf, ging im Zimmer umher, machte Versuche, ob er hören könne. Stellte einen Stuhl hart gegen den Steinboden. Ja, ein leiser Hall war da. Er prüfte mit verzweifelter Angst. Ja, ganz sicher, die Geräusche waren nicht deutlich, aber sie kamen ihm nicht nur von innen. Er konnte hören. Es war Hoffnung.
    Peral kam. Er redete ihm nicht zu, aber er teilte ihm mit, er habe nach einem Arzt in Cádiz geschickt, der als guter Spezialist gelte. Goya hob die Schultern, übertrieb seine Taubheit. Aber er klammerte sich mit ganzer Seele an seine Hoffnung.
    Am späten Morgen, zu der Zeit, da sonst er zu ihr zu gehen pflegte, kam Cayetana. Er spürte einen grimmig freudigen Schreck. Er hatte erwartet, sie werde wegfahren mit ihrem Zierbengel, wie sie’s angekündigt hatte; sie war nicht die Frau, ein Vorhaben aufzugeben, nur weil er erkrankt war. Aber da war sie. Sie sprach zu ihm, bemühte sich, die Worte deutlich zu bilden. Er war zu erregt, um zu verstehen, er wollte auch nicht verstehen. Er schwieg. Sie saß bei ihm, einelange Zeit. Dann, zart, strich sie ihm über die Stirn. Er rückte den Kopf weg. Sie saß noch eine Weile, dann ging sie.
    Der Arzt aus Cádiz kam. Schrieb Goya Tröstliches auf, sagte es ihm mit deutlichen Lippen. Sprach geschwind und vielerlei mit Peral. Schrieb Goya auf, hohe Töne zwar werde er auf lange Zeit nicht hören können, wohl aber tiefe. Das war eine Bestätigung, und Goyas Hoffnung hob sich.
    Aber in der nächsten Nacht kamen zu ihm alle die Gespenster, die er in seinem gespensterreichen Dasein gesehen hatte. Sie hatten Katzenköpfe und Hundeköpfe, glotzten aus riesigen Eulenaugen, griffen mit ungeheuern Krallen, flatterten mit riesigen Fledermausflügeln. Es war Nacht und ganz finster, er hielt die Augen geschlossen, trotzdem sah er sie, ihre scheußlichen Gesichter und ihre lieblichen, die noch furchtbarer waren. Er spürte, wie sie im Kreis um ihn herumhockten und ihn

Weitere Kostenlose Bücher