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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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anhauchten mit ihrem gräßlichen Atem, und in der betäubenden, toten Stille, die ihn jetzt einmauerte, waren sie bedrohlicher als jemals vorher.
    Als es gegen Morgen ging und erste Helle kam, stürzte das Bewußtsein seiner Taubheit in seinem ganzen Entsetzen über ihn her. Ihm war, als stülpte sich eine riesige Glocke über ihn, ihn für immer einzusperren. Es war nicht zu ertragen, daß er, der seine Freude und seinen Schmerz den andern heraussagen mußte, fortan von den Menschen sollte abgesperrt sein. Er wird nicht mehr die Stimmen der Frauen hören können und die Stimmen seiner Kinder, nicht mehr die freundhafte Stimme Martíns, die höhnischen Anmerkungen Agustíns, den besorgten, tiefliebenden Tadel Josefas, nicht mehr das Lob der Kenner und der Mächtigen. Er wird nicht mehr den Lärm der Puerta del Sol hören und des Stierzirkus, keine Musik mehr, nicht mehr die Seguidillas und Tonadillas, er wird keinen Schwatz mehr austauschen mit den Majos und Majas der Schenken. Er wird gemieden werden von den Menschen; denn wer möchte mit einem reden, der nicht hört? Ihm war bestimmt, sich immerzu lächerlich zu machen und Verkehrtes zu antworten. Immer fortan mußte er auf der Hut sein,bemüht, etwas zu hören, was er doch nicht hören konnte. Er wußte um die Kälte der Welt, sie war schlimm genug für einen, der gesund war und imstande, sich zu wehren, sie war entsetzlich für einen, wie er es heute war. Er wird leben müssen von seinen Erinnerungen und wußte doch, wie einem die Dämonen die Erinnerungen verzerrten. Er horchte in sich hinein, um vertraute Stimmen zu hören von Freunden und von Feinden, und schon war er unsicher, ob er sie richtig höre. Da schrie er auf. Tobte.
    Trat vor den Spiegel. Es war ein schöner, großer, ovaler Spiegel mit einem herrlichen, kostbar geschnitzten, vergoldeten Rahmen. Aber was ihm daraus entgegenschaute, war schlimmer als die Ungeheuer, die ihn des Nachts angestarrt hatten. War das er? Wild fielen die Haare um den Kopf, ein wirrer Bart ringelte sich finster und lächerlich um die hohlen Wangen und ums Kinn, groß, beinahe ganz schwarz hockten in ihren tiefen Löchern die Augen, die dicken Brauen zackten, grotesk gespaltet, in die Stirn, dicke Furchen liefen von der Nase herunter und um den Mund, die eine Hälfte der Lippen war läppisch verschieden von der andern. Das ganze Gesicht war finster, hilflos wütend, resigniert wie das eines gefangenen Tieres, es war ein Gesicht, wie er’s gemalt hatte unter den Gesichtern seines »Narrenhauses«.
    Er setzte sich in den Sessel, dem Spiegel abgekehrt, und schloß die Augen. So hockte er, dumpf, eine endlose Stunde.
    Gegen Mittag faßte ihn eine wilde Spannung, ob Cayetana kommen werde. Er sagte sich, sie sei bestimmt weggefahren, aber er konnte es nicht glauben. Es trieb ihn hoch, er lief auf und ab. Die Stunde war da, da sie sich zu treffen pflegten. Sie kam nicht. Fünf Minuten vergingen, zehn. Eine ungeheure Wut faßte ihn. Wenn ihr Hund keinen Stuhlgang hatte, trauerte sie, als ginge die Welt zugrunde, aber wenn er hier saß, geschlagen wie Hiob, dann lief sie fort mit dem nächstbesten Gecken. Ein unsinniges Verlangen nach Rache brannte in ihm hoch. Er möchte sie würgen, treten, stoßen, schleifen, vernichten.
    Er sieht sie kommen. Mit einem Male wird er ganz ruhig. Alle Bedrängnis fällt von ihm ab; ja, ihm ist, als höbe sich die tiefe Glocke, die über ihn gestülpt ist. Vielleicht ist das Schlimmste vorbei, vielleicht hört er wieder. Aber er wagt die Probe nicht, er will sie nicht die Mühen und Leiden seiner traurigen Versuche sehen lassen, er will ihre Nähe genießen, nichts weiter. Er will sie auch nicht sehen, will nur wissen, spüren, daß sie da ist. Er wirft sich in einen Sessel, schließt die Augen, atmet hörbar, gleichmäßig.
    Sie kommt. Sieht ihn, wie er im Sessel hockt, sichtlich schlafend, der Mann, der einzige, der sich gegen sie aufgelehnt hat, wieder und wieder, der sie erzürnt hat wie kein zweiter und mit dem sie verknüpft ist, wie sie’s mit keinem andern war. Die Frauen alle, die in seinem Leben gewesen sein mögen und noch sein werden, bedeuten nichts, und die Männer, die in ihrem eigenen Leben waren und noch sein werden, bedeuten nichts, und auch daß sie heute mit San Adrián wegfahren wird, bedeutet nichts. Sie liebt nur diesen, hat nur ihn geliebt, keinen sonst, und so wird es bleiben.
    Aber, und wenn er daran zugrunde geht und sie selber, sie wird sich seinethalb nicht ändern, wird

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