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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Sicherheit, und als nun endlich auch dieser Mann seinen Stoß empfing, hatte ihm das Genugtuung bereitet. Er fragte sich, ob, wenn er ihm die schonungslose Wahrheit mitteilte, er’s wirklich nur tue, um seine Menschen-, Arztes-, Freundespflicht zu erfüllen, oder nicht vielmehr, um sich an dem Bevorzugten zu rächen.
    Da ihn nun aber Francisco so geradezu fragte, verjagte er die Bedenken und machte sich daran, den schmerzhaften Einschnitt vorzunehmen. Er setzte seine Worte sorgsam und einfach und bemühte sich, sie klar zu artikulieren. »Die Ursprungsstelle Ihrer Krankheit«, sagte er, »liegt im Gehirn. Das langsame Absterben Ihres Gehörs hat sich im Gehirn vollzogen. Das Leiden kann herrühren von einer venerischen Erkrankung, die Sie gehabt haben oder einer Ihrer Ahnen. Sie können von Glück sagen, Don Francisco, daß sich die Folgen auf diese Art auswirkten. In andern Fällen, in den meisten Fällen affizieren sie das Gehirn auf schlimmere Art.«
    Goya schaute dem andern aufs Gesicht, auf die dünnen, ausdrucksvollen Lippen, welche die tödlich harten Worte formten. In ihm war Sturm. Er dachte: Er will dich vergiften, auf tückische, unentdeckbare, verwickelte Art, so wie er den Herzog vergiftet hat, der Giftmischer. Er dachte: Er hat recht, ich werde verrückt, ich bin es schon. Er sagt es nur heraus in seinen studierten Worten, daß es die Sünde ist, die Besessenheit, die Verhexung, die mir im Gehirn steckt. So sagte er in seinem Herzen. Mit seinem Munde aber sagte er: »Sie meinen, ich bin verrückt.« Erst sagte er es leise und grimmig, sofort aber wiederholte er’s schreiend: »Verrückt! Ich bin verrückt, sagen Sie! Sagen Sie: bin ich verrückt?« Peral, sehr ruhig und sehr deutlich, erwiderte: »Sie können von Glück sagen, daß Sie nicht verrückt sind, sondern eben nur harthörig. Versuchen Sie das zu begreifen, Don Francisco.« –»Warum lügen Sie?« schrie Goya zurück. »Wenn ich nicht wahnsinnig bin, dann werde ich es. Und Sie wissen es. Haben Sie nicht gesagt: harthörig?« fragte er. Und: »Sehen Sie, wie Sie lügen«, fuhr er fort, triumphierend, daß er den andern überführt hatte. »Sie wissen doch genau, daß ich nicht harthörig bin, sondern taub, stocktaub und für immer. Taub und verrückt.« Peral, geduldig, antwortete: »Daß Sie harthörig sind, gibt viel Hoffnung, gibt beinahe die Gewißheit, daß sich damit die alte Krankheit ein für allemal ausgetobt hat.« Goya klagte: »Warum quälen Sie mich so? Warum sagen Sie mir nicht klar: du bist verrückt?« – »Weil ich nicht lügen will«, antwortete Peral.
    Es fanden aber in der Folge mehrere sehr aufrichtige und merkwürdige Gespräche zwischen den Männern statt. Bald tröstete Don Joaquín seinen Kranken, bald verhöhnte er ihn, und dieser schien es so zu wollen; bald dankte er dem andern für seine Sorge, bald legte er’s darauf an, ihn zu verletzen. »Auch in Ihrem Übel«, schrieb ihm etwa Doktor Peral auf, »sind Sie glücklicher als die andern. Die andern müssen ihre gefährlichen Gefühle in sich verschließen, bis sie zuweilen wirklich die Mauern der Vernunft niederbrechen. Sie, Don Francisco, können sie malen. Sie malen sich Ihre Skrupel glattwegs fort aus dem Leib und aus der Seele.« – »Würden Sie tauschen wollen, Doktor?« fragte Goya und grinste höhnisch. »Würden Sie ›harthörig‹ sein wollen und dafür fähig, sich gewisse Skrupel aus der Seele zu malen?« Solche Scherze machten die beiden. Einmal aber, überwältigt von seinem Leid, packte Goya den andern am Arm, legte den massigen Kopf an die Brust des Feindes, es schüttelte ihn, er mußte sich klammern an einen Menschen, der ihn verstand, und wiewohl sie niemals über Cayetana gesprochen hatten, wußte er: der Feind verstand ihn.
    War er allein, dann, zuweilen, betäubte ihn geradezu die Vorstellung seines künftigen Lebens. Manchmal, wenn er mit andern zusammen ist, wird er schreien, manchmal flüstern, nie wird er die Tonstärke dessen ausmessen können, was ersagt, häufig aussprechen, was er nur denken will, und nicht wissen, daß er’s ausgesprochen hat, man wird ihn verwundert anstarren, immer wird er voll Unsicherheit und Argwohn sein. Es war dem stolzen Manne unerträglich, daß er den Menschen ein Gegenstand des Mitleids sein sollte und oft des Gelächters. Natürlich hat Peral recht, unvermeidlich wird er in Wahnsinn fallen.
    Er hätte es gerne herausgesagt, daß seine Taubheit eine Strafe ist. Aber wenn er’s beichtet, wird er des

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