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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
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Planeten. Aber wenn sich einer nicht zu dem Glauben bekannte, die Welt sei gemäß dem Bericht der Bibel in den sechs Tagen vom 28. September biszum 3. Oktober 3988 v. Chr. geschaffen worden, dann konnte er weder in den spanischen Königreichen noch in der Habsburgischen Monarchie ein Staatsamt bekleiden.
    In jenem Jahrfünft schrieb Goethe in den »Venezianischen Epigrammen«, es seien ihm von allen Dingen am meisten verhaßt »viere: Geruch des Tabaks, Wanzen und Knoblauch und Kreuz«, und Thomas Paine arbeitete an jenem Elementarbuch des Rationalismus »Das Zeitalter der Vernunft«. Um die gleiche Zeit schrieb Schleiermacher sein Buch »Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern«, Novalis seine »Theodicee«, und der französische Schriftsteller Chateaubriand bekehrte sich zu einem romantisierenden Katholizismus. Das Buch »Verfall und Sturz des Römischen Reiches«, in welchem Edward Gibbon mit leisem Witz und kalter Ironie die Entstehung des Christentums als einen Rückfall in die Barbarei dargestellt hatte, wurde allgemein als das bedeutendste Geschichtswerk des Zeitalters gefeiert; doch keinen geringeren Erfolg errangen jene »Apologien«, in denen Bischof Richard Watson elegant und gemäßigt Gibbon und Paine zu widerlegen versuchte.
    Es wurden in jenem Jahrfünft wesentliche physikalische, chemische, biologische Entdeckungen gemacht, es wurden wichtige soziologische Prinzipien gefunden und erwiesen, und die Entdecker und Verkünder wurden angefeindet, verhöhnt, ins Gefängnis gesteckt. Neue wissenschaftliche Heilmethoden wurden erprobt, und Priester und Medizinmänner trieben Kranken die Dämonen aus und heilten mit Gebeten und Amuletten.
    Philosophierende Staatsmänner und gierige Geschäftemacher, stille Wissenschaftler und marktschreierische Quacksalber, machtsüchtige Priester und leibeigene Bauern, Künstler, empfindsam für jeden Reiz, und stumpfe, mordbrennende Landsknechte, alle lebten zusammen auf engem Raum, stießen sich, drängten sich, Gescheite und Dumme, solche, deren Gehirn kaum höher entwickelt war als das der ersten Menschen, und solche, deren Gehirn Gedanken dachte, welchedie vielen erst eine Eiszeit später werden begreifen können, solche, die musisch waren, empfänglich für jede Schönheit, und solche, die stumpf blieben vor geformtem Wort, Klang und Stein, Strebsame, Regsame und Blöde, Faule, sie atmeten eine Luft, rührten einer des andern Haut, waren einander in steter, unmittelbarer Nähe. Sie liebten und haßten einer den andern, führten Kriege, schlossen Verträge, brachen sie, führten neue Kriege, schlossen neue Verträge, quälten, verbrannten, zerstückten einer den andern, mischten sich und zeugten Kinder, und selten nur verstand einer den andern. Die wenigen Gescheiten, Begabten drängten vorwärts, die ungeheure Zahl der andern hielt sie zurück, feindete sie an, fesselte sie, brachte sie um, suchte sich ihrer auf viele Arten zu entledigen. Und trotzdem kamen sie vorwärts, die wenigen Begabten, unmerklich freilich, mit vielen Listen und vielen Opfern, und mit sich zwangen sie, wuchteten sie die Masse der andern ein wenig vorwärts.
    Ehrgeizige und Beschränkte nützten die Trägheit und Dummheit der vielen und suchten verwesende Institutionen zu halten. Aber die Französische Revolution hatte frische Luft in die Welt geweht, und Napoleon, der Vollender der Revolution, schickte sich an, viel Lebensunfähiges endgültig wegzufegen.
    Mehr jetzt als ein bloßer Schall war
    Der Gedanke von den Menschen-
    Rechten: er war Wirklichkeit in
    Manchen Ländern, schmale, junge,
    Doch greifbare Wirklichkeit, ge-
    Schriebenes Gesetz. Und so, am
    Ende des Jahrfünfts und des Jahr-
    Hunderts, war trotz allem in der
    Welt ein wenig mehr Vernunft, als
    Zu Beginn des Säkulums in
    Ihr gewesen.

2
    Vor einer halben Stunde war Don Manuel von San Ildefonso aufgebrochen. Faul und verdrossen lehnte er in den Kissen des Wagens. Vor ihm lag die lange Reise nach Cádiz, und dort warteten seiner unangenehme Geschäfte. Freilich wollte er sich vorher ein paar Tage Erholung gönnen, jetzt, in Madrid, incognito, in Gesellschaft Pepas. Aber nicht einmal diese Aussicht vermochte ihn zu erheitern.
    Caramba, er hatte in diesen letzten Wochen nichts als Ärger gehabt. Daß ihn die Franzosen zwangen, den unpopulären Krieg gegen England fortzuführen, war schlimm genug, und nun bestanden sie auch noch darauf, die Gabachos, daß er unüberlegte, nie wiedergutzumachende Schritte

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