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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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in den Vereinigten Staaten von Amerika, liebäugelten jetzt die führenden Männer mit den alten Ideen. Man sagte sich los von jenem Frankreich, ohne dessen Hilfe man die Unabhängigkeit niemals hätte erkämpfen können, man insultierte den französischen Botschafter und führte kalten Krieg mit seiner Republik. Man erließ ein Fremden- und Aufruhrgesetz, welches den Geist der Verfassung verleugnete, man verwässerte die Prinzipien der Unabhängigkeitserklärung. Als der erste Präsident des Staates, George Washington, aus dem Amte schied, jubelte eine Zeitung in Philadelphia: »Der Mann, welcher die Schuld trägt am ganzen Elend unseres Landes, steigt heute herunter auf die Stufe seiner Mitbürger und hat nicht länger die Macht, die Leiden dieser Vereinigten Staaten zu mehren. Jedes Herz, welches für die Freiheit und für das Glück des Volkes schlägt, muß heute freudig bewegt sein beidem Gedanken, daß nun der Name Washington aufhört, Unrecht zu verbreiten und Korruption erlaubt zu machen.«
    Die leidenschaftliche Anstrengung, in kürzester Zeit eine neue Ordnung des menschlichen Daseins zu schaffen, hatte die Welt erschöpft. Alle Kräfte aufs äußerste anspannend, hatte man versucht, die öffentlichen und die privaten Dinge mittels Vernunft zu regeln. Jetzt erschlaffte man und flüchtete aus der blendenden Helle der Vernunft zurück in die Dämmerung des Gemütes. Überall auf der Welt wurden nun die alten konservativen Ideen gepriesen. Aus der Kälte des Denkens wich man zurück in die Wärme des Glaubens, der Frömmigkeit, der Empfindsamkeit. Aus den Stürmen, welche die Freiheit gebracht hatte, rettete man sich in den stillen Hafen der Autorität und Disziplin. Romantiker träumten von der Wiederherstellung des Mittelalters, Dichter sangen von ihrem Haß gegen die Klarheit der Sonne, schwärmten von der mondbeglänzten Zaubernacht, rühmten den Frieden und die Geborgenheit im Schoße der katholischen Kirche. »Die Aufklärung hat uns nicht die Haut geritzt!« jubelte ein Kardinal.
    Das war ein Irrtum. Die hellen, scharfen, neuen Ideen hatten sich zu vieler Geister bemächtigt, als daß sie sich wieder hätten austilgen lassen. Privilegien, bisher unerschütterlich, waren unterhöhlt; Absolutismus, Gottesgnadentum, Scheidung der Klassen und Kasten, Bevorrechtung der Kirche und des Adels, alles das war jetzt in Zweifel gezogen. Frankreich und Amerika hatten das große Beispiel gegeben, und trotz des neu erstarkten Widerstands der Kirche und des Adels brach sich nun der Gedanke Bahn: es sollten die menschlichen Dinge geregelt werden gemäß den Ergebnissen wissenschaftlicher Erkenntnis und nicht nach Gesetzen, die niedergelegt waren in alten, heiliggesprochenen Büchern.
    Es lebten in jenem letzten Lustrum des Jahrhunderts in Frankreich an die 25 000 000 Menschen, in England und in Spanien je 11 000 000; Paris hatte 900 000, London 800 000 Einwohner, die Vereinigten Staaten von Amerika waren bevölkertvon etwa 3 000 000 Weißen und von 700 000 farbigen Sklaven; die größte Stadt Amerikas war Philadelphia mit 42 000 Einwohnern, New York zählte 30 000, Boston, Baltimore, Charleston je 10 000. In diesem Jahrfünft veröffentlichte der englische Nationalökonom Malthus seinen Essay über die »Prinzipien der Bevölkerung« und stellte das Gesetz auf, die Menschheit vermehre sich rascher als die zu ihrer Erhaltung nötigen Nahrungsmittel, und man müsse die Fortpflanzung einschränken.
    Die Menschen machten sich in diesem Jahrfünft ein weiteres großes Stück ihres Planeten nutzbar. Die Vereinigten Staaten von Amerika versuchten Siedler anzuziehen und errichteten zu diesem Zweck Ämter und Gesellschaften, die bei langem und reichlichem Kredit Land zum Preise von einem Dollar den Acre verkauften. Auch begann in jenem Jahrfünft Alexander von Humboldt seine große Forschungsreise nach Mittel- und Südamerika, deren Ergebnisse den Kosmos klarer erkennbar und leichter bewohnbar machten.
    In jenem Jahrfünft vollzogen sich überall auf der Welt, vor allem in Europa, viele und heftige politische Veränderungen. Alte Reiche stürzten und wurden zu neuen Staatengebilden vereinigt, zu Republiken zumeist. Zahlreiche geistliche Herrschaften wurden säkularisiert. Der Papst wurde als Gefangener nach Frankreich gebracht, der Doge von Venedig vermählte sich zum letzten Male mit dem Meere. Die Französische Republik gewann viele Schlachten zu Lande, England viele Schlachten zur See; auch erfocht England den entscheidenden

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