Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
schaute mit Argwohn auf diesen gewalttätigen Kömmling. Andernteils war er überzeugt von der Heilkraft seiner Mittel; sie wirkten, wenn nur die Patienten daran glaubten. Er hörte den Tauben an, gab ihm eine Salbe aus dem Fett des wilden Hundes, eines Wesens mit besonders gutem Gehör, empfahl ihm, Kerzen, deren Wachs er etwas von seinem eigenen Ohrenschmalz beigemengt habe, Unserer Señora del Pilar zu stiften. Goya dachte an die Bilder des inneren Ohres, welche ihm Peral aufgezeichnet, und an die einleuchtenden Erklärungen, die er ihm gegeben hatte, er schaute den Sastre finster an, dankte nicht, steckte ihm zehn Realen zu. Das war ein lächerlich geringfügiger Entgelt, Pedro Sastre äußerte dasauch in kräftigen Worten, deutlich und artikuliert. Goya aber verstand nicht, ging.
Der treue Martín mittlerweile hatte in erstaunlich kurzer Zeit die Elemente der Zeichensprache erlernt. Er und Francisco übten; oft bei diesen Übungen spaßte Francisco, noch öfter fluchte er und beschimpfte Martín. Es fiel ihm auf, daß er jetzt, da er auf Hände und Lippen schärfer achten mußte, Eigenschaften dieser Hände und Lippen wahrnahm, die ihm vorher entgangen waren.
Er machte sich daran, ein Porträt Zapaters zu malen. Malte langsam und mit Sorgfalt, malte die ganze, warmherzige Freundschaft Zapaters in das Bild und seine eigene, und als er fertig war, setzte er auf den gemalten Brief, der vor dem gemalten Martín lag, die Worte: »Mein Freund Zapater, mit der größten Sorgfalt hat für dich dieses Bild gemalt Goya.« Martín aber sah wieder einmal sein fülliges, schlaues, wohlwollendes Gesicht mit der großen Nase auf der Leinwand, er sah die Worte vor der Signatur, und er fand, er habe noch immer nicht genug für seinen Francisco getan.
Wenige Tage später, während Martín in Saragossa seinen Geschäften nachging, machte sich Goya auf den Weg, um zu erproben, wie es einem tauben Manne ergeht, der allein in den Straßen einer Stadt herumläuft. In dem gleichen, einfachen Mantel und in dem runden Hut, in dem er den Wunderdoktor Sastre aufgesucht hatte, schlich er sich nach Saragossa. Die Hauptstraße, den Corso, vermeidend, ging er herum in der vertrauten Stadt.
Er lehnte am Geländer der alten Brücke und schaute über Saragossa, und die berühmte Stadt und ihr großer Fluß Ebro waren kleiner geworden, grauer. Es war eine bunte, lebendige Stadt gewesen in seinem Kopf und in seinem Herzen, jetzt war sie ernst und fahl. Ja, streng, traurig und bedrückend war sie, und war es damals nur die eigene Fröhlichkeit gewesen, die der junge Francisco auf die Stadt übertragen hatte?
Da waren die Kirchen, die Paläste, und sein Herz blieb taub vor ihnen wie sein Ohr. Er ging vorbei an dem Hause, indem er lange Jahre verbracht hatte in der Lehre des Malers Luján, des frommen, ehrenfesten, arbeitsamen Mannes. Viele Jahre hatte er bei ihm vertrödelt, und er spürte nicht einmal Groll oder Verachtung. Und er ging vorbei an der Aljafería, wo die Inquisition ihre geheimnisvollen, furchterregenden Sitzungen abgehalten hatte, und er spürte keinen Schauer. Und er ging vorbei an dem Palacio Sobradiel und an dem Kloster der Escolapios, und die Wände dieser Gebäude hatte er mit Fresken bemalt. Ein Unmaß von Hoffnungen, Siegen, Niederlagen war verknüpft gewesen mit diesen Arbeiten. Es drängte ihn nicht, sie anzuschauen, er war enttäuscht, schon da er sie mit dem innern Auge wiedersah.
Und da waren die uralten, hochheiligen Kirchen. Da war die Christus-Statue, die den Mund aufgetan hatte und gesprochen zu dem Domherrn Funes. Und dieses war die Kapelle des Heiligen Miguel; hier war es, wo der abgeschlagene Kopf auf den Erzbischof Lope de Luna zugerollt war, um ihm im Auftrag des Heiligen zu beichten und Absolution von ihm zu erhalten; erst dann wollte der Kopf begraben sein. Dieser Kopf war durch viele schreckliche Träume des Knaben Francisco gerollt: nun machte der fromm und finstere Ort den tauben, alternden Francisco nicht schauern und nicht lächeln.
Und hier war die Kathedrale der Virgen del Pilar, die Stätte seiner höchsten Hoffnungen, seines ersten großen Erfolges und seiner tiefsten Schmach, der Sarna, jener kratzenden Scham, welche der Schwager Bayeu ihm zugefügt hatte. Da war der kleine Chor, da war sein Fresko. »Señor Goya, Sie haben den Auftrag«, hatte der Domherr Don Mateo ihm mitgeteilt damals, er war fünfundzwanzig Jahre alt gewesen, es war ein 19. Dezember gewesen, es war das größte Ereignis
Weitere Kostenlose Bücher