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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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sein arges Geheimnis zu offenbaren. Zeigte ihm die andern Zeichnungen, die Fratzen und Gespenster, und: »Verstehst du das?« fragte er wieder. Bestürzt schaute Martín. »Ich fürchte es zu verstehen«, sagte er. Und: »Versteh es nur!« forderte Goya, und dann zeigte er ihm sein eigenes Bild, das bärtige, mit den Augen, aus denen alle Verzweiflung der Welt sprach. Und während Martín verwirrt und erschreckt von dem gezeichneten Goya zu dem lebendigen schaute und wieder zu dem gezeichneten, sagte Francisco: »Ich will versuchen, es dir zu erklären«, und er sprach so leise, daß ihn der andere kaum hören konnte. »Es ist etwas sehr Wichtiges, sehr Geheimes und sehr Arges, und bevor du antwortest, mußt du deine Antwort gut und lang bedenken, und unter keinen Umständen darfst du sie mir aufschreiben«, und er erzählte ihm, wasihm Doktor Peral eröffnet hatte von der engen Nachbarschaft seiner Taubheit mit dem Wahnsinn. Doktor Peral habe natürlich recht, schloß er, und partiell wahnsinnig sei er schon lange, und die Ungeheuer, die er gezeichnet habe, die habe er mit diesen seinen wahnsinnigen Augen wirklich gesehen, und der verrückte Francisco, den er gezeichnet habe, das sei der echte Francisco.
    Martín mühte sich, seine Betroffenheit zu verbergen. Goya aber sagte: »So, und jetzt überlege. Und dann sprich langsam und hab, bitte, Geduld. Dann werde ich dir schon vom Munde ablesen können, was du zu sagen hast.« Die Demut aber, mit der er das sagte, machte Martín das Herz schwer.
    Nach einer langen Weile, vorsichtig und sehr deutlich, gab er seine Antwort. Wer seinen Wahnsinn so genau sehe, sagte er, der sei vernünftiger als die weitaus meisten Menschen, und wer seinen Wahnsinn so deutlich aus sich herausstellen könne, der sei sein eigener bester Arzt. Er wählte seine Worte behutsam, sie kamen schlicht, doch wohlüberlegt, und sie klangen Francisco tröstlich.
    Bis jetzt hatte Francisco seine Mutter nicht aufgesucht. Wohl drängte es ihn, mit ihr zu sprechen; auch mochte sie von seinem Aufenthalt in Saragossa gehört haben und gekränkt sein, daß er nicht zu ihr kam. Aber er hatte es nicht über sich gebracht, sie zu sehen; er schämte sich seines Zustandes. Jetzt, nach der Aussprache mit Martín, war er bereit.
    Zuerst indes verschaffte er sich bessere Kleider. Dann ging er zum Barbier. Herrisch gab er Anweisung, ihm den Bart abzunehmen, und auf das freundliche Geschwätz des Mannes gab er unwirsche, schwer verständliche Antworten. Langsam erst entdeckte der Barbier, daß dieser Kunde taub war. Im übrigen war Franciscos Haut empfindlich geworden, das Rasieren schmerzte.
    Das Gesicht, welches dann, als der wirre Bart fort und die Haare ordentlich gekämmt waren, zum Vorschein kam, überraschte den Barbier. Befremdet, ein wenig scheu, sah er aufden Herrn, der den Laden so wüst verwahrlost betreten hatte und ihn nun so vornehm hochfahrend verließ.
    Francisco hatte sich bei seiner Mutter nicht angemeldet. Unbehaglich, doch voll Erwartung strich er durch die Straßen. Er spürte sein Gesicht ungewohnt nackt und kühl, dabei brannte es. Langsam, auf Umwegen, ging er zu dem kleinen Haus, in welchem seine Mutter wohnte, stand davor, ging nochmals die Straße auf und ab, stieg endlich hinauf ins erste Stockwerk, rührte den Klopfer. Die Tür öffnete sich, der ertaubte Francisco stand vor seiner Mutter.
    »Komm herein«, sagte Doña Engracia. »Setz dich«, sagte sie, betont deutlich, »und trink einen Rosoli.« Rosoli hatte er als Kind bekommen, wenn ihn eine Krankheit oder sonst was Böses überfallen hatte. »Ich weiß schon alles«, sagte sie, immer sehr artikuliert, und holte die Flasche mit dem Rosoli. »Du hättest auch schon früher kommen können«, grollte sie.
    Sie stellte Flasche und Gläser vor ihn hin, etwas Gebäck dazu, und setzte sich ihm gegenüber. Er roch an dem stark und süß duftenden Likör, anerkennend, und schenkte sich und ihr ein. Nahm einen Schluck, leckte sich die Lippen, tunkte etwas Gebäck in den Rosoli, schob es in den Mund. Sah ihr aufmerksam ins Gesicht. »Du bist so großkopfig und so übermütig«, las er ihr von den Lippen ab. »Du hast wohl selber gewußt, daß das nicht immer so weitergehen konnte, und ich hab dir’s auch gesagt, daß Strafe kommen wird. ›Der schlimmste Taube ist der, der nicht hören will‹«, zitierte sie das alte Sprichwort, »und du hast nie hören wollen. Gott in seiner Barmherzigkeit hat dir eine milde Strafe geschickt. Stell dir vor,

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