Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
sie und seine Angst und seinen Wahn aufs Papier.
Er schaute sich selber an, im Spiegel, hohlwangig, wie er war, mit wilden Haaren und wirrem Bart. Schon freilich war ihm das Gesicht voller geworden, die Furchen weniger tief; er war nicht mehr jener Mann der letzten Verzweiflung, der ihm entgegengeschaut hatte aus dem Spiegel in Sanlúcar damals nach dem Zusammenbruch. Doch noch fiel es ihm leicht, sich das Gesicht von damals zurückzurufen, und dieses Gesicht, das seiner tiefsten Not, zeichnete er jetzt.
Auch Cayetanas Gesicht rief er sich zurück, wieder und wieder. Das Bild freilich, welches Cayetana zerstört hatte, jene unheilige Himmelfahrt, war für immer dahin, und er dachte nicht daran, dieses Bild ein zweites Mal zu malen. Wohl aber zeichnete er Cayetanas Fahrt zum Hexensabbat, und die Zeichnung wurde noch schärfer und klarer. Auch viele andere Gesichter und Gestalten der sich ewig wandelnden Cayetana zeichnete er. Da war sie, ein hübsches Mädchen, verträumt, lauschend einer Kupplerin. Da war sie, umdrängt von vielen Bewerbern, sich sträubend, lockend. Da war sie, gejagt von Dämonen, vor ihnen fliehend, nach ihnen äugend. Und schließlich zeichnete er den Hexensabbat selber, »den Aquelarre – den Riesenlärm, das Mordsgaudium«. Aufrecht auf seinen Hinterbeinen saß da der Meister, der gewaltige Bock, mit ungeheuerm, laubbekränztem Gehörne und runden, riesigen, rollenden Feueraugen. Ihn umtanzten anbetend opfernde Hexen, sie brachten Totenköpfe dar, geschundene Säuglinge, und er, der Bock, segnete mit gehobenen Vorderbeinen seine Gemeinde, das Hexengelichter. Des Gelichters blühende Anführerin aber war Cayetana.
So jetzt zeichnet Goya Tag für
Tag. Wirft hin, was durch den Sinn ihm
Geht. Läßt seinen Träumen freien
Lauf. Läßt sie heraus aus seinem
Kopfe kriechen, fliegen, die Dä-
Monen, die Gespenster, ratten-
Schwänzig, hundsgesichtig, kröten-
Mäulig, Cayetana immer
Unter ihnen. Zeichnet sie mit
Wüt’ger Inbrunst, hält sie fest, es
Ist ihm Qual und Lust, sie so zu
Zeichnen, ist ein beßrer Wahn, fast
Lustig, nicht so tierisch schmerzhaft
Wie der Wahn, der ihm die Brust und
Ihm den Kopf zerdrückt, wenn er nur
Sitzt und denkt und wird nicht fertig
Mit dem Denken. Nein, solang er
Zeichnet, darf er närrisch sein. Es
Ist hellsicht’ger Wahn, er freut sich
Seiner, er genießt ihn. Und er
Zeichnet.
6
Martín fragte ihn nichts, und das war ihm recht.
Es war ihm nicht recht. Was er in diesen letzten Tagen gezeichnet hatte, war ein Mittel gewesen, sich Luft zu machen, eine Art und Weise, sich mitzuteilen, aber er mußte sprechen , deutlich sprechen von dem, was ihn drückte, von dem, was ihm Doktor Peral eröffnet hatte, von seiner Angst vor dem Wahnsinn. Er konnte es nicht länger allein tragen, er mußte einen Mitwisser haben für sein schreckliches Geheimnis.
Er zeigte Martín die Zeichnungen. Nicht alle, doch die der vielgestaltigen Cayetana, der lügnerischen, anmutig teuflischen. Martín war erschüttert. Die Erregung machte ihn husten, stark und wiederholt. Er betrachtete die einzelnen Blätter, legte sie zur Seite, nahm sie wieder auf, betrachtete sie von neuem. Mühte sich mit kummervoller Beflissenheit zu ergründen, was ihm der Freund sagen wollte.
»Man kann es in Worten nicht sagen«, erklärte Francisco, »darum hab ich es so gesagt.« – »Ich glaube, ich verstehe es«, antwortete Martín, bescheiden, ein wenig unsicher. »Du mußt nur Courage haben«, ermunterte ihn Francisco, »dann verstehst du es ganz genau. Idioma Universal«, sagte er ungeduldig, »ein jeder muß es verstehen.« – »Ich verstehe schon«, beschwichtigte ihn Martín. »Ich sehe, wie alles gekommen ist.«
»Du siehst gar nichts!« sagte böse Goya. »Niemand kann begreifen, wie tief verlogen sie ist.« Und er sprach ihm von Cayetanas Wankelmut und dem abgründig Verderberischen in ihr, und er erzählte ihm von seinem großen Streit und wie sie das Bild zerschnitten hatte. Seltsamerweise indes verspürte er, während er so redete, nichts von der zornigen Verachtung, deren er sich rühmte: vielmehr klangen in seinem Innern warm und deutlich Cayetanas letzte Worte, jene Worte starker, ehrlicher Liebe. Er wollte aber daran nicht denken, er verbot sich, daran zu denken, er füllte sich von neuem mit dem Zorn seiner Zeichnungen und brüstete sich vor Martín, er habe sie jetzt für immer aus seinem Leben herausgerissen, und das sei gut so.
Und dann ging er daran, dem Freunde
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