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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
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gealtertes, verhärtetes Gesicht erblickte.
    Der Treiber Gil setzte ihm auseinander, was Francisco zugestoßen war, während dieser finster danebenstand. Dann, bevor Zapater viel äußern konnte, wies ihn Francisco herrisch an, er solle dem Treiber seine Gratificacioncita geben, sein kleines Trinkgeld, damit dieser endlich in eine Venta gehen könne, sie hätten eine anstrengende Tagesreise hinter sich. »Gib ihm zweihundert Realen«, befahl er, das war ein ungeheures »kleines Trinkgeld«. Francisco und Gil tranken noch einen letzten Schluck aus dem Weinschlauch, der Bota, der Muletero empfahl bewegten Gesichtes seinen ungewöhnlichen Patron dem Schutze der Jungfrau und aller Heiligen, und dann sah Goya den Gefährten seiner langen Reise mit seinen beiden Tieren verschwinden in der Nacht gegen Saragossa.
    Wiewohl Francisco danach brannte, dem Freunde von den Schrecknissen zu erzählen, die ihm begegnet waren, und vor allem von dem Fürchterlichen, was ihm Peral eröffnet hatte, von der Gefahr des Wahnsinns, so schwieg er fürs erste. Erhatte Angst vor dem, was ihm Martín aufschreiben könnte. Von jeher hatte Francisco Angst gehabt vor der Magie des geformten Wortes; schon ein deutlich gedachtes Wort zog die Dämonen herbei, noch verfänglicher war das gesprochene, am verfänglichsten das geschriebene.
    Die ersten Tage wohnten sie allein in der Quinta Zapater, betreut von Martíns altem Pächter Tadeo und dessen Frau Farruca. Tadeo war melancholischen Gemütes und außerordentlich fromm; stundenlang saß er schweigsam, geschlossenen Auges, in religiösen Betrachtungen. Farrucas schwärmerische Frömmigkeit war sanfterer Art. Sie hatte sich zu einer »Esclava de la Santísima Trinidad«, zu einer »Sklavin der Heiligen Dreieinigkeit«, erklärt, ihr Beichtvater hatte im Namen der Dreieinigkeit schriftlich die Annahme dieser Erklärung bestätigt. Farruca war verpflichtet, die in ihrem Zimmer befindliche wächserne Statue der Jungfrau als Zofe zu betreuen; sie erneuerte regelmäßig den Blumen- und Lichterschmuck, sie verrichtete vor dem wächsernen Bilde zu bestimmten Stunden bestimmte Gebete, sie wechselte die Kleider der Statue je nach der Jahreszeit und der Bedeutung des Tages, auch verfehlte sie nicht, ihr vor dem Schlafengehen das Nachtkleid überzuziehen. Im übrigen hatte sie jede Woche ihrem Beichtvater als dem Repräsentanten der Dreieinigkeit vier Realen auszuzahlen.
    Martín sprach nicht viel, doch war er ständig um Francisco. Der merkte, daß Martín stark und oft hustete. Farruca drängte seit langem, er solle zum Arzt gehen. Doch Martín wollte nicht, daß man von seiner Erkältung viel hermache, und für die Ärzte, die »Barbiere«, hatte er ebenso wie Francisco gute, spanische Verachtung.
    Francisco bestand darauf, daß Martín ihm nicht immer Gesellschaft leiste, sondern seinen Geschäften in der Stadt nachgehe. War er dann allein, so kam wohl Farruca zu ihm. Sie konnte nicht schreiben, und er machte ihr’s nicht leicht, sich mit ihm zu verständigen, aber sie war ebenso geduldig wie geschwätzig und hielt es für ihre Pflicht, den unglücklichentauben Herrn zu trösten und zu beraten. Sie erzählte ihm etwa von Pedro Sastre. Das war der Enkel jenes Braulio Sastre, des Lampenwärters der Kathedrale, dem seinerzeit das verlorene Bein nachgewachsen war, weil er den Stumpf ein Jahr lang mit dem geweihten Öl der Lampen Unserer Señora del Pilar eingerieben hatte. Auch der Enkel Sastre, erzählte Farruca, sei ausgestattet mit großer Kraft und habe wunderbare Kuren vollbracht. Doch sei er schwer zugänglich; für einen Herrn aber wie Don Francisco werde er wohl zu sprechen sein, und aufmunternd sagte sie ihm, wo er wohnte. Aus seiner Knabenzeit erinnerte sich Francisco, wie er manches Mal scheu am Hause dieses Pedro Sastre vorbeigegangen war; der Mann mußte sehr alt sein.
    Des nächsten Abends, allein und verstohlen, in der einfachen aragonesischen Tracht, die er sich von Martín geborgt hatte, den runden Hut tief in die Stirn gedrückt, machte sich Goya auf in die Vorstadt von Saragossa. Er fand das Haus des Pedro Sastre ohne Mühe, schob die Frau, die ihn zurückhalten wollte, zur Seite, stand vor dem Wunderdoktor.
    Der war ein kleiner, verhutzelter Mann, uralt, wie Francisco vermutet hatte. Er war voll von Mißtrauen vor dem ungestümen Eindringling, der taub war oder sich taub stellte und einen unverständlichen Namen nannte. Pedro Sastre also, der in ständiger Angst vor der Inquisition lebte,

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