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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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seines Lebens gewesen, niemals später war er wieder so glücklich gewesen, nein, auch in den besten Augenblicken mit Cayetana nicht, und nicht, als die Königin ihm sagte, die »Familie des Carlos« sei ein Meisterwerk. Er hatte natürlich gewußt damals, daß das Domkapitel ihm den Auftrag gegeben hatte,nur weil ihnen Antonio Velázquez zu teuer war, und sie hatten demütigende Bedingungen daran geknüpft, einen unanständig schnellen Termin und Prüfung seiner Entwürfe durch »sachverständige Beurteiler«: aber er hatte das alles übersehen, 15 000 Realen waren für ihn eine Summe gewesen, für die man das Königreich Aragón kaufen konnte und beide Indien dazu, und er war sicher gewesen, was er da an die Decke des kleinen Chores malen wird, werde der Ruhm des Jahrhunderts sein. Und da war es also, und es war Schund, es war Mist, der Pfuscher Carnicero würde es besser machen. Das sollte die Dreieinigkeit sein, dieses alberne, nebelhafte und doch nüchterne Dreieck mit den hebräischen Buchstaben! Und was waren das für plumpe Engel! Und was waren das für wollene Wolken! Und was war das Ganze für ein blöder, läppischer Dreck!
    Er ging hinüber zur Kapelle Unserer Señora del Pilar, zur Stätte der Sarna. Da waren die kleinen Kuppeln, die er bemalt hatte, da waren seine »Tugenden«: Glaube, Werke, Tapferkeit und Geduld, jene Malerei, die Bayeu und der Erzpriester des Domkapitels, Gilberto Alué, für Gestümper erklärt hatten. Gut gemalt waren sie nicht, die Tugenden, da hatten die Herren wohl recht gehabt, aber was sein Herr Schwager hatte haben wollen und selber gemacht hatte, war auch nicht eben von ewiger Bedeutung. Und wenn sich ihm der Triumph verflüchtigt hatte vor seinen Malereien im Chor, die Sarna der Kapelle brannte heute wie damals.
    Carajo! dachte er und erschrak, daß sich ihm das Fluchwort aufgedrängt hatte an dieser in Wahrheit hochheiligen Stätte. Denn hier war El Pilar, die Säule, die der Kathedrale den Namen gegeben hatte, jene Säule, auf welcher die Jungfrau dem Apostel, dem Schutzpatron Spaniens, Santiago, erschienen war, um ihm die Errichtung des Heiligtums hier am Ufer des Ebro aufzutragen. Hier war der Schrein mit der Heiligen Säule. Und in diesem Schrein die Öffnung, durch welche die Gläubigen die Säule küssen mochten.
    Goya küßte sie nicht. Nicht etwa, daß Rebellion in ihm gewesenwäre, nicht etwa, daß er der Santísima die Reverenz hätte verweigern wollen, aber er spürte nicht den Wunsch, die Jungfrau um Hilfe zu bitten. Wie oft hatte er zu dieser Virgen del Pilar gebetet in Not, wieviel Zweifel und Kampf war in ihm gewesen, ehe er von der Virgen del Pilar übergegangen war zu der Virgen de Atocha. Jetzt stand er unfromm vor diesem Heiligtum der Heiligtümer, welches seine ganze Jugend ausgefüllt hatte. Ein Stück Leben war ihm abgestorben, und er bedauerte es nicht einmal.
    Er verließ den Dom und ging zurück durch die Stadt. Es sind keine Vögel mehr im Nest vom vorigen Jahr, dachte er. Wahrscheinlich waren auch im vorigen Jahr keine drin gewesen. Das Bild von Saragossa, das er in der Seele getragen hatte, dieses fröhlich lebendige Bild, das waren die Jahre seiner Jugend gewesen, nicht die Stadt Saragossa. Die Stadt Saragossa war wohl auch damals öd und staubig gewesen, so wie er sie jetzt sah in seiner Taubheit. Das verstummte Saragossa war das wahre.
    Er ging nach Hause, er saß allein zwischen den weißen Wänden seines kahlen Zimmers in der Quinta Zapater, und um ihn war Ödnis und in ihm war Ödnis.
    Dann aber kam es wieder, mitten am hellen Tag, das verzweifelte Geträume. Um ihn hockte es, flog es, spukhaft, katzenköpfig, eulenäugig, fledermausflügelig.
    Mit furchtbarer Anstrengung riß er sich zusammen, griff zum Stift. Warf sie aufs Papier, die bösen Geister. Da waren sie. Und da er sie auf dem Papier sah, wurde er ruhiger.
    An diesem Tag, am nächsten und am übernächsten, ein zweites, ein drittes Mal und immer öfter, ließ er sie aus sich heraus, die Gespenster, aufs Papier. So hielt er sie fest, so wurde er sie los. Wenn sie übers Papier krochen und flogen, waren sie nicht mehr gefährlich.
    Beinahe eine ganze Woche – Zapater störte ihn nicht – verbrachte Francisco in seinem kahlen Zimmer, allein mit den Gespenstern, zeichnend. Er schloß nicht die Augen vor den Dämonen, warf sich nicht über den Tisch, um den Kopf vorihnen zu verbergen. Er schaute ihnen in die Gesichter, hielt sie fest, bis sie sich ihm ganz offenbart hatten, zwang

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