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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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wenn er dich arm gemacht hätte statt taub.«
    Das waren Gedankengänge, die Francisco gut begriff. Doña Engracia hatte recht, sie hatte von Anfang an gewarnt und von seinem Aufstieg und Glanz kränkend wenig hergemacht. Sie war die Tochter eines Hidalgo, sie hatte das Recht, sich »Doña« zu nennen, aber sie hatte an der Seite des Vaters ein bäuerlich karges Leben geführt, hart rechnend, sich bescheiden kleidend, sich in allem der engen Wirklichkeit anpassend.Er hatte sie nach dem Tode des Vaters zu sich nach Madrid genommen, sie hatte es dort nicht lange ausgehalten, sie hatte zurück verlangt nach Saragossa. Sie war immer mißtrauisch geblieben vor seinem Glück und hatte kein Hehl daraus gemacht, daß sie nicht an seine Dauer glaubte. Und da also saß er vor ihr, ein Tauber, ein Krüppel, und ließ sich von ihr trösten mit ihrem Rosoli und sich von ihr ausschimpfen.
    Er nickte mit dem großen, runden Kopf, und um ihr eine Freude zu machen, übertrieb er ein wenig sein Unglück. Auch beruflich, meinte er, werde er jetzt mehr Schwierigkeiten haben. Die großen Herren und Damen seien ungeduldig, und wenn er, was sie schwatzten, schlecht verstehe, werde er weniger Aufträge bekommen. »Willst du die dreihundert Realen kürzen für mich?« fragte sogleich böse Doña Engracia. »Die würde ich dir schicken«, antwortete Francisco, »und wenn ich mit lahmer Hand Kohlen schaufeln müßte.« – »Immer noch großspurig«, antwortete die Mutter. »Du wirst noch lernen, Paco. Jetzt, da du nicht hören kannst, wirst du mancherlei zu sehen kriegen. Immer hast du mir vorgeprahlt, was für großartige Freunde du hast. An jedermanns Freundschaft hast du gleich geglaubt. Mit einem, der nicht hören kann, verkehrt keiner gerne. Jetzt wirst du erfahren, wer deine wahren Freunde sind.« Aber durch ihre harten Worte spürte Francisco, wie stolz sie auf ihn war, wie stark sie hoffte, daß er sich im Unglück bewähren werde, und wie sie ihn nicht durch Mitleid beschämen wollte.
    Als er fortging, forderte sie ihn auf, zum Essen zu kommen, wann immer er Lust habe. Er kam mehrmals in der Woche. Sie erinnerte sich genau, was er als Knabe gern gegessen hatte, sie setzte ihm einfache, stark gewürzte Kost vor, mit viel Knoblauch, Zwiebeln und Öl, zuweilen auch einen kräftigen Puchero, eine Art vereinfachter Olla podrida. Beide aßen sie einsilbig, reichlich und mit Genuß.
    Einmal fragte er sie, ob er sie nicht malen solle. »Bevor du dich wieder an Kunden wagst, die zahlen«, antwortete sie,»möchtest du’s wohl mit einem gefügigen Modell versuchen.« Aber sie war geschmeichelt.
    Er schlug ihr vor, sie zu malen, wie sie war, in ihrer Alltagstracht. Doch sie wollte in ihrem Sonntagsstaat gemalt sein; auch eine Mantilla mußte er ihr kaufen und, damit sie ihre Kahlheit verbergen könne, eine neue Spitzenhaube.
    Es waren schweigsame Sitzungen. Sie saß still da, unter der hohen Stirn schauten alte, versunkene Augen, die langen Lippen unter der ausdrucksvollen Nase waren verpreßt. In der einen Hand hielt sie den geschlossenen Fächer, in der andern einen Rosenkranz. Beide hatten Freude an den Sitzungen, beide Geduld. Es schaute schließlich von der Leinwand eine alte Frau, die viel erlebt hatte, die von Natur klug und die durch ihr Schicksal weise geworden war, die gelernt hatte, sich zu bescheiden, aber willens war, die Jahre zu genießen, die ihr noch blieben. Mit besonderer Liebe gemalt hatte Francisco die beiden alten, knochigen, kräftigen Hände. Doña Engracia war zufrieden mit ihrem Porträt. Sie freue sich, sagte sie, daß er sich’s nicht habe verdrießen lassen, so viel Leinwand und so viel Mühe zu wenden an das Bild einer alten Frau, die nichts zahle.
    Jetzt suchte Goya auch seinen Bruder Tomás auf, den Vergolder. Der war gekränkt, daß sich Francisco erst so spät bei ihm sehen ließ. Im Verlauf des Gesprächs fragte er, ob Francisco nach diesem Fingerzeig Gottes nicht auch das Gefühl habe, er sollte eigentlich mehr für seine Familie tun, und er legte ihm nahe, ihm die Übersiedlung nach Madrid zu ermöglichen. Francisco antwortete, ja, morgen werde er mit Martín auf die Jagd gehen.
    Franciscos Schwager, der Pfarrer Manuel Bayeu, hatte der Meinung Ausdruck gegeben, wenn Goya so lange zögere, sich geistlichen Trost bei dem eigenen Schwager zu suchen, so sei das ein Zeichen, daß er die Mahnung des Himmels nicht zur Genüge verstanden habe. Als Goya den Pfarrer besuchte, sah er, daß das Porträt des toten

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