Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
niederschlagen wollen. »Du bist die Kugel nicht wert mit deinen Sandalen«, hatte er geschrien. Doch der brave Mönch hatte sich auf ihn gestürzt, ihm das Gewehr entrissen, den Fliehenden in den Hintern geschossen und gebunden. Das ganze Land freute sich des tapfern Kapuziners, und die Menge auf der Puerta del Sol hörte enthusiastisch zu, wie die Balladensängerin das Ereignis wiedergab, offenbar mit farbigen Einzelheiten. Goya fühlte sich ausgeschlossen. Er kaufte sich den Text der Moritat, um ihn zu Hause in Ruhe zu lesen.
Es war später Nachmittag, die Glocken läuteten, das Angelus wurde gebetet, die Händler begannen, ihre Gewölbe zu erleuchten, vor den Häusern und vor den Marienbildern wurden die Laternen angezündet. Goya machte sich auf den Heimweg.
Auf den Balkonen saßen Leute und erfreuten sich der Kühle. Auf dem Balkon eines finstern, fast fensterlosen, verdächtigen Hauses saßen zwei Mädchen, hell und hübsch und fleischig, sie saßen über die Balustrade gelehnt, sie hatten sich Wichtiges zu erzählen, doch äugten sie hinunter auf die Männer, die vorübergingen. Hinter den Mädchen aber, in tiefem Schatten und so eingehüllt in ihre Mäntel, daß man die Gesichter nicht sah, standen unbeweglich zwei Burschen. Goya schaute, verlangsamte den Schritt, blieb schließlich vollends stehen. Er schaute wohl zu lange, die Verhüllten regten sich, es war nur eine kleine Geste, aber es war eine gefährliche Geste, es schien geraten weiterzugehen. Ja, die auf dem Balkon waren richtige Majas aus der Manolería, Majasmit all ihrer Lockung und ihrem Flitter, und hinter ihnen, und so gehörte sich’s, stand Schatten und Drohung.
Andern Tages fragte Agustín, ob man nicht endlich mit dem Bild des Marqués de Castrofuerte beginnen solle. Aber Goya schüttelte nur den Kopf. Er hatte anderes zu tun. Er malte, was er gestern erlebt hatte. Malte auf sechs kleinen Tafelbildern die Geschichte des Räubers El Maragoto, wie er am Tor des Klosters den Kapuziner bedroht und wie dieser tapfer und geistesgegenwärtig ihn lahmschießt und gefangennimmt. Es war eine einfache, frische Erzählung, die ganze Moritat war darin und die ganze, schlichte, starke Freude, welche die Puerta del Sol an dieser Moritat hatte.
Dann aber überfiel ihn das Bild jenes andern Räubers, dessen Hinrichtung er miterlebt hatte auf der Corredera von Córdoba, das Bild des Puñal. Und er malte den toten Banditen auf seiner Schandbühne, den erdrosselten, bärtig, im gelben Sünderkleid, allein im harten Licht.
Noch am gleichen Tag – und es drängte ihn, dieses Bild am gleichen Tage zu beginnen – machte er sich daran, die Majas zu malen, die wirklichen, die auf dem Balkon, und ihre gefährlichen Freunde im Schatten, und er malte die Versuchung, die von diesen Frauen auf den Mann überspringt, und das verfänglich Finstere dahinter, welches die Versuchung verstärkt.
Er ließ Agustín die Bilder sehen. »Hätte ich lieber den Marqués de Castrofuerte malen sollen?« fragte er ihn stolz und vergnügt. Agustín schluckte und schmatzte. »Man lernt bei dir nie aus«, sagte er, und das war denn auch eine sehr andere Malerei als die, mit welcher Francisco bisher solche Szenen gemacht hatte. Denn Banditen-Szenen und Maja-Szenen hatte er schon sehr früh dargestellt, auf den Wandteppichen für den König, aber das waren fröhliche und sehr harmlose Bilder gewesen, und diese hier waren keineswegs harmlos, und es schien Agustín befremdlich, beunruhigend und beglückend, daß der Erste Hofmaler jetzt auf solche Art malte. Francisco mittlerweile freute sich und rühmte sich. »Hörtman den Maragoto drohen?« fragte er. »Hört man den Schuß knallen? Hört man die Majas flüstern? Merkt man, daß das von einem Tauben gemalt ist?« Und ehe Agustín antworten konnte, sagte er stolz: »Siehst du! Zugelernt hab ich! Plus ultra!«
»Was willst du mit den Bildern anfangen?« fragte Agustín. »Die Osuna wollte ein paar kleine Bilder haben. Sie wäre sicher froh um den ›Räuber Maragoto‹.« – »Die Bilder verkaufe ich nicht«, antwortete Goya. »Die Bilder habe ich für mich gemacht. Aber ich verschenke sie. Du kannst eines haben, die andern schenke ich der Josefa.«
Josefa war erstaunt, aber sie errötete vor Freude. Lächelnd, mit ihren bedächtigen, im Kloster erlernten Buchstaben, schrieb sie ihm auf: »Ich danke dir«, und machte ein Kreuz dazu wie bei allem, was sie schrieb.
Er sah sie an. Sie war noch schmaler und verschlossener geworden
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