Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Martín Zapater hätte sie sich begleiten lassen.Aber der war leider wieder einmal krank, sein alter Husten; diesmal hatte er ziemlich viel Blut gespuckt.
Goya war bestürzt. Die nüchternen Worte der Mutter erregten ihm abergläubische Angst, er fürchtete für Martín. Viele der Freunde, die er gemalt hatte, waren im Fleische gestorben und lebten nur mehr in seinen Bildern. War ihm nicht gerade erst Josefa gestorben? Nach ihrem Porträt? Es war schon so: wenn er jemand mit Hingebung malte, entzog er ihm ein Stück Leben; denn dann war der Gemalte im Bilde da, und von seinem atmenden Dasein war ihm ein großer Teil weggenommen. Er brachte Unglück, er, Francisco, genau wie Cayetana; wahrscheinlich war es gerade das, was ihn mit Cayetana verknüpfte.
Die Gegenwart der vernünftigen Doña Engracia half ihm, sich von den schwarzen Gedanken loszumachen. Die alte Frau war rüstig, sie zeigte, wiewohl er sie gemalt hatte, nicht die leisesten Spuren von Verfall.
Schade war, daß sie seinen Jungen, ihren Enkel Javier, nicht leiden konnte. »Der Junge gefällt mir nicht«, sagte sie auf ihre barsche Art. »Er hat alles, was an den Bayeus schlecht ist, und alles, was an den Goyas schlecht ist. Er ist hochnäsig, verlogen und verschwenderisch. Du solltest einmal ein deutliches Wort mit ihm reden, Francho«, und sie zitierte die alte Weisheit: »Al hijo y mulo para el culo – Deinem Sohn und deinem Esel sag’s über den Hintern.«
Dem vornehmen und eleganten Javier gefiel die ungeschlachte Großmutter aus Aragón sowenig wie er ihr. Hingegen wetteiferten die Freunde, Agustín, Miguel, Quintana, der Mutter ihres Francisco Aufmerksamkeiten zu erweisen. Don Miguel schlug Francisco vor, er solle Doña Engracia zu Hofe bringen und sie den Majestäten vorstellen, daß die Señora mit eigenen Augen sehe, wie sehr der König und María Luisa ihren Sohn schätzten. Allein die Alte sträubte sich. »Ich gehöre nicht an den Hof«, sagte sie, »sowenig wie du, Francho. Wer als Zwiebel geboren ist, wird niemals eine Rose.«
Sie blieb nicht lange, und trotz seiner Bitten bestand siedarauf, auch die Rückfahrt allein zu machen. War nicht auch er allein nach Saragossa gereist? »Eine Alte tut sich immer noch leichter als ein Tauber«, erklärte sie.
Unmittelbar vor ihrer Abreise gab sie ihm Ratschläge, die ihn an die Mahnungen Josefas erinnerten. Er solle vorsichtig sein, solle sparen, solle dem Bruder und dem Schwager, den gierigen Raben, nicht zu viel geben. »Du kannst ihnen ja in deinem Testament was Anständiges vermachen«, meinte sie, »aber bei Lebzeiten würde ich ihren Zuschuß nicht erhöhen. Und vor allem, mach dich lieber klein als groß, Paco! Werde nicht wieder übermütig! Du siehst ja, was dabei herauskommt. ›Je schöner das Kleid, das du trägst, so schlimmer der Schmutz, der drauffällt.‹«
Er setzte sie in den Postwagen. Der Mayoral, der Erste Kutscher, und seine Gehilfen trieben die Tiere an. »Macho, macho!« schrien sie, und da das Leittier nicht gleich anzog, fluchten sie: »Qué perro!« Aus dem Wagen, inmitten des Geschreis, schaute die Mutter und sagte: »Die Jungfrau beschütze dich, Paco!« Francisco sah die Flüche und sah den Segen, und in seinem Innern mischten sie sich. Dann fuhr der große Wagen los, und er wußte, es war unwahrscheinlich, daß er die sehr alte Frau noch einmal sehen werde.
Daß sich Doña Engracia mit seinem Sohne Javier nicht hatte verstehen können, beschäftigte ihn. Er liebte und verwöhnte Javier nach wie vor; was Javier sagte und wie er’s sagte, gefiel ihm. Javier wuchs ihm immer tiefer ins Herz. Die Mutter hatte unrecht, mußte unrecht haben, der Junge war es wert, daß er ihn verwöhnte.
Er malte ihn; das half ihm oftmals, sich über Menschen klarzuwerden. Er übersah nichts, vergaß nicht die Schwächen, die Josefa und die vor allem seine Mutter an Javier wahrgenommen hatten, Schwächen, die Javier mit dem Zierbengel, dem Marqués de San Adrián, gemein haben mochte. Aber er malte alle seine Liebe für den Sohn in das Bild. Malte einen jungen Gecken, doch voll von ironischer Zärtlichkeit für sein so reizend stutzerhaftes Wesen. Da steht der Knabe, kaum erwachsen,in langschößigem, überelegantem, perlgrauem Rock, in prallen Hosen, mit hohen, schwarzen Stiefeln, die Füße modisch gespreizt. Er trägt gelbe Handschuhe, die eine Hand hält Spazierstock und dreispitzigen Hut, die andere hat er in das preziöse, weiße Spitzenjabot gesteckt. Von der Weste hängen
Weitere Kostenlose Bücher