Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
in der letzten Zeit. Es gab nicht viel, was sie einander zu sagen hatten, trotzdem hätte er jetzt manchmal gern mit ihr geschwatzt. So viele seiner Freunde und selbst Fremde hatten die Zeichensprache erlernt; es war ihm leid, und es verdroß ihn, daß sie sich nicht die Mühe gemacht hatte.
Plötzlich kam ihm der Einfall, sie zu malen. Er sah sie neu, sah sie deutlicher als früher. Sah, was ihn oft an ihr ungeduldig gemacht hatte, ihre Ähnlichkeit mit dem Bruder, ihren Unglauben vor seinem Künstlertum. Sah aber auch, was er vorher nicht hatte sehen wollen, ihre aus Liebe stammende Trauer und Sorge über sein tief unfrommes Wesen, seine Unbotmäßigkeit, seine Maßlosigkeit.
Sie war ein gutes, geduldiges Modell. Gerade aufgerichtet, wie er sie es geheißen hatte, saß sie auf ihrem Stuhl, einen kostbaren, etwas steifen Schal um die Schultern. Er betonte das aragonesisch Starre, Stolze an ihr, gab ihr Haltung und strenge Lieblichkeit. Er sah sie mit Liebe; er verschönte sie nicht, doch verjüngte er sie ein wenig. Da sitzt sie, sie trägt den Kopf hoch unter den schweren Zöpfen des goldroten Haares, den schmallippigen Mund unter der großen Nasehält sie fest geschlossen. Eine leise Schärfe ist in den Zügen des langen Gesichtes, die Haut, noch rosig blaß, zeigt ein erstes Welken, eine kleine Schlaffheit ist in den fallenden Schultern. Die großen, strahlenden Augen sind traurig und blicken weit über den Beschauer hinweg in die Ferne. Die Hände aber liegen schwer auf den Knien, sie stecken in grauen Handschuhen, die Finger der Linken liegen steif und seltsam gespreizt über der Rechten.
Es war ein gutes, liebevolles, doch kein fröhliches Bild. Es war sehr anders als jenes von Saragossa, wo er sie mit zweien ihrer Kinder gemalt hatte. Es war kein fröhlicher Goya, der dieses letzte Bild gemalt hatte.
Dieses letzte Bild. Wenige Tage nach der Vollendung des Porträts erkrankte Josefa und legte sich nieder. Sie schwand hin, sehr schnell. Die Ursache ihrer tödlichen Erschöpfung war klar. Es war das tückische Klima der Stadt Madrid, es waren die eisigen Winter, die glühenden Sommer, die heftigen Winde; es waren ferner ihre vielen Schwangerschaften.
Nun es mit ihr zu Ende ging, hatte die Schweigsame viel zu sagen. Und jetzt sah er, daß er zu Unrecht gekränkt gewesen war, weil sie die Zeichensprache nicht erlernt hatte. Sie hatte sie erlernt, und wenn sie sie nicht angewandt hatte, dann nur aus Starrheit. Nun redete sie zu ihm mit den müden Fingern, doch nur zwei, drei Tage lang, dann wurden ihr die Hände zu schwer. Er sah, wie sie, auch das mit ungeheurer Anstrengung, die Lippen regte zu einer späten Botschaft, und er las ihr die Worte ab: »Sei sparsam, Francho! Verschwende nicht dich und nicht dein Geld!« So starb sie, wie sie gelebt hatte, still, ohne viel Wesens, mit einer Mahnung.
Das Gesicht der toten Frau unter der Fülle des rotblonden Haares schien weniger müde als in der letzten Zeit. Er dachte an alles, was er mit ihr erlebt hatte, an den zarten, schlanken, ungelenken Leib des Mädchens, das er das erste Mal genommen hatte, an die klaglose Mühe, mit der sie ihm die Kinder geboren hatte, an das lange, stumme Leid, welches sie durch ihn erlitten hatte, an ihre Verständnislosigkeit vor seinerKunst, an ihre hartnäckige Liebe. Es war tückisch, daß sie gerade jetzt sterben mußte, wo sie einander soviel besser erkannt hatten.
Aber es war nichts in ihm von dem wilden, verzweifelten Schmerz, der ihn sonst so leicht ansprang. Vielmehr lähmte ihn eine trübe, stumpfe Ödnis, das Bewußtsein einer ausweglosen Einsamkeit.
Er bestellte für Josefa
Das Begräbnis einfach, nicht so
Prunkvoll, wie er’s damals für die
Kleine Elena gerichtet
Hatte. Dann, vom Friedhof kommend,
Grimmig, sagte er den Freunden
Jenen alten Spruch: »Ins Grab die
Toten, und die Lebenden zu
Tische.«
Mit Erleicht’rung sahen
Sie, daß er das neue Unglück
Ohne wüsten Ausbruch hinnahm.
Und er selber glaubte, ledig
Sei er jetzt des Feindes in der
Eignen Brust.
9
Aus Saragossa, unerwartet, kam seine Mutter, ihn zu trösten. Sie hatte anerkennende Worte für die Tote. Als sie damals in Madrid gewesen war, hatte sie sich mit Josefa schlecht vertragen.
Sie hatte die Reise allein gemacht. Natürlich hatte Tomás sie begleiten wollen, auch der Pfarrer Manuel Bayeu. Aber das hatte sie Francho ersparen wollen; denn beide hätten ihn nur gedrängt, ihnen mehr Geld zu geben, und das war nicht nötig. Von
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