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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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überreiche Berlocken, und zu Füßen des schlanken, langen, jungen Menschen kauert lächerlich ein dicker, weißer, modischer Schoßhund mit einem roten Bändchen. Das Gesicht des Knaben ist länglich, kurze, rotblonde Locken fallen in die Stirn, unter den Augen der Mutter und über der langen Oberlippe steckt die dickliche Nase des Vaters. Das ganze Bild aber ist getaucht in eine Flut von zarten, helleren und dunkleren grauen Tönen, die zauberhaft ineinander übergehen.
    Angesichts des fertigen Porträts begriff Francisco gut, welche Eigenschaften Javiers es waren, die Josefa und seine Mutter verdrossen hatten. Er aber mochte Javier, wie er war, und gerade seine Affektation und seine jugendliche Neigung für Eleganz und Luxus gefielen ihm.
    Dabei gefiel ihm das Haus, in dem er wohnte, das prächtig eingerichtete Haus an der Carrera del San Jerónimo, mit einem Male nicht mehr. Elena war tot, Mariano war tot, er war allein mit Javier. Das Haus und seine Möbel waren abgewohnt, abgelebt.
    Er kaufte sich ein anderes Haus, unmittelbar vor Madrid, doch schon auf dem Lande, am Ufer des Manzanares, nahe des Puente Segovia. Es war ein alter, geräumiger, zweistöckiger Bau, ein richtiges Landhaus, eine Quinta, mit viel weitem, freiem Gelände. Er hatte dort eine wunderbare Sicht; auf der einen Seite hatte er Blick auf die geliebte, oft gemalte Pradería de San Isidro, und darüber ausgebreitet war seine Stadt Madrid, auf der andern Seite sah er die Guadarrama-Berge.
    Er richtete sich die Quinta geradezu dürftig ein. Mit einem kleinen Lächeln sah er, daß seinem Sohn Javier die neue Kargheit wenig gefiel, und er ermutigte ihn, sich die eigenen Zimmer nach Belieben prächtig auszustatten. Er überließihm die kostbaren Stühle und Sessel, die mit Golddamast bezogenen Schemel aus dem Hause an der San Jerónimo. Auch die meisten Gemälde überließ er ihm; sich selber zurück aber behielt er jenes Porträt Cayetanas, das er nicht für sie, sondern sich zur Lust gemalt hatte. Im übrigen stellte er in seine eigenen, weiten Zimmer nur das Nötigste, und während die Wände seines früheren Ateliers geschmückt gewesen waren mit Gobelins und kostbaren Gemälden, ließ er die Wände der Quinta kahl.
    Häufig saß er, manchmal mit einem schlauen Lächeln, vor diesen kahlen Wänden. Er trug sich mit dem Plan, sie zu bemalen. Bilder aus seiner Welt sollten an diesen Wänden sein, seine Beobachtung, seine Phantasie sollten ihm den Pinsel führen, keine Regel sollte gelten als seine eigene: und diese seine innere Welt sollte trotzdem die wirkliche Welt sein.
    Doch bevor er machen konnte, was ihm da vorschwebte, hatte er noch viel zu lernen. Denn wohl hatte er was erreicht in seiner Kunst, aber es war nur eine erste Höhe. So wie einer, nachdem er einen ersten Bergkamm erklettert hat, nun den ganzen, weiten, wolkenlosen Gebirgszug dahinter sichtet, so hat er erst jetzt, in diesem Jahre der Leiden, des Wahnsinns, der Taubheit, der Einsamkeit, der aufdämmernden Vernunft, sein wahres Ziel gesehen, fern und sehr hoch. Ein erstes Mal hatte er’s dunkel geahnt, als er, nach dem scheußlichen Schauspiel der Demütigung des Pablo Olavide, die Inquisition gemalt hatte, das Narrenhaus und die andern kleinen Bilder. Jetzt spürte er’s deutlicher: das äußere Gesicht mußte ergänzt werden durch das innere, die nackte Wirklichkeit der Welt durch die Träume des eigenen Hirns. Und erst wenn er das wird malen können, erst dann wird er die Wände seiner Quinta bemalen.
    So karg er sein Haus einrichtete, so großen Wert legte er auf seine Kleidung. Und zwar kleidete er sich jetzt nach der neuen, verbürgerlichten Pariser Mode. In Hoftracht zeigte er sich nur mehr, wenn es Vorschrift war, sonst trug er statt der Calzas, der Kniehosen, die langen Hosen, und den Dreispitzvertauschte er mit dem steifen, hohen Hut, mit dem Prolifar, dem »Bolívar«. Das Haar strich er vor die Ohren, die nun doch nichts mehr hören konnten. Oft sahen ihn die Leute so herumgehen in seinem weiten, wilden Garten, kräftig, würdig, löwengesichtig, recht finster, im hohen Hut und mit Spazierstock. Sie nannten ihn »El Sordo en la Huerta – den Tauben im Garten«, und sein Haus nannten sie »La Quinta del Sordo – das Landhaus des Tauben«.
    Er hatte Papier und Stift stets zur Hand, um sich aufschreiben zu lassen, was man ihm zu sagen hatte. Immer häufiger warf er in dieses Aufschreibebuch kleine, rasche Zeichnungen, erste Entwürfe, Augenblicksbilder seiner innern

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