Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
und äußern Landschaft. Auch erlernte er jetzt Agustíns neues Verfahren, arbeitete viel mit ihm, bat ihn ungescheut um Rat.
Wie in dem Hause an der San Jerónimo teilte er in der Quinta sein Atelier mit Agustín. Nun er aber daranging, sein Neues zu zeichnen und auf die Platte zu reißen, störte ihn die Gegenwart selbst des treuen, einfühlsamen Gehilfen. Im lärmendsten Stadtviertel, an der Ecke der Calle de San Bernardino, in einem hohen, dichtbewohnten Hause, mietete er sich einen Raum im obersten Stockwerk. Auch diesen Raum stattete er kärglich aus; außer dem notwendigsten Mobiliar ließ er nur die Utensilien hineinschaffen, die er für sein Radieren brauchte, Kupferplatten, eine Presse, den übrigen technischen Zubehör.
Hier also saß Goya, seine gepflegte Kleidung stach seltsam ab von der Ärmlichkeit der Werkstatt, und er lächelte wohl, wenn er daran dachte, daß nun keine Josefa mehr da war, ein schiefes Gesicht zu machen, weil er für seine unsaubere Arbeit nicht den Kittel überzog. Hier also saß er; von nebenher, von unten her, von der sehr belebten Calle de San Bernardino her kam Lärm, er aber saß in seiner großen Stille und machte seine neuen, kühnen, gewalttätigen Versuche, und die kahle Werkstatt wurde ihm zur lieben Klause, zu seiner »ermita«.
Agustíns neues Verfahren ermöglichte neue, nie dagewesene Tönungen, und das war gut so. Denn die Welt, die er imKopfe trug und auf die Platte reißen wollte, war reich und vielfältig. Da waren die Menschen, Dinge und Erfahrungen seiner bäuerlich kleinbürgerlichen Jugend in Fuendetodos und in Saragossa, und da waren die Menschen und Dinge seines höfischen Lebens, die Welt Madrids und der königlichen Residenzen. Lange hatte er geglaubt, das Unten, das Vergangene, sei abgestorben, und nur der Höfling Goya sei geblieben. Jetzt aber, seit seiner Ertaubung, seit der Reise mit dem Maultiertreiber Gil, hatte er gemerkt, daß dieses Alte noch sehr lebendig war, und das war ihm lieb. Es war ein neuer Goya da, ein weiserer Goya, der gelernt hatte aus seinem Leben mit Bauern und Bürgern, mit Hofleuten, mit Gesindel und mit Gespenstern.
Als er jung war, hatte er aufbegehrt und sich mit der Welt abgerauft. Aber er hatte erfahren müssen: wer versucht, sich der Welt aufzuzwingen, den haut das Schicksal auf den Kopf. Später hatte er sich angepaßt, hatte fröhlich mitgetan in dem üppigen, bequemen Leben des Hofes. Aber er hatte erfahren müssen: wer sich aufgibt und sich ganz anpaßt, den haut das Schicksal auch auf den Kopf, der verliert sich selber und seine Kunst. Er hatte gelernt: man darf die Kanten nicht brechen wollen, man muß versuchen zu biegen und zu runden, die Welt und sich selber.
Ihm war, als sei alles, was er erlebt hatte, nur dazu bestimmt gewesen, ihn hierher zu führen, in diesen großen, hellen, kahlen Raum an der Calle de San Bernardino, und als sei alles, was er bisher gemalt und gezeichnet hatte, nur Fingerübung gewesen für das, was er jetzt zu machen hatte. Hier in seiner Ermita saß er und erlaubte der Welt, sich ihm aufzuzwingen, und zwang sie gleichzeitig, so zu sein, wie er sie sah.
So warf er sie aufs Papier, so riß und lavierte er sie auf die Platte. Hombre! Das war was anderes, als wenn man ein bestelltes Porträt malte und darauf achten mußte, daß der andere, der Besteller, der Trottel, auch merkte, daß er’s selber war. Hier konnte man die wahre Wahrheit malen. Hombre! Welch eine Lust!
Wie die Kahlheit seiner Quinta war ihm die Schlichtheit und Sparsamkeit willkommen, zu der ihn das Material seiner neuen Kunst zwang. Licht und Farbe waren etwas Herrliches, oft hatte er sich daran berauscht, oft noch wird er es. Aber manchmal jetzt, in seiner Einsamkeit, schimpfte er grimmig auf seine früheren Bilder. Die waren ja farbig wie ein Affensteiß! Nein, für seine neuen, stacheligen, bittern und lustigen Ein-Sichten, da gab es nur eines, die Grabstichel, ein anständiges Schwarz und Weiß.
Er hatte der Akademie mitgeteilt, er müsse schweren Herzens um Enthebung von seinem Amte bitten, seine Taubheit zwinge ihn dazu. Die Akademie ernannte ihn zum Ehrenpräsidenten und veranstaltete anläßlich seines Scheidens vom Amt eine repräsentative Ausstellung seiner Werke.
Der König steuerte für diese Ausstellung als Leihgabe »Die Familie des Carlos« bei.
Viel Gerüchte gingen um das kühne Bild. Es fanden sich zur Eröffnung der Ausstellung nicht nur die Mitglieder des Hofes ein, die der Kunst ihre Gönnerschaft
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