Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Abgründe, wollte er nicht wieder hinunter. Erst in diesem letzten Jahr hatte er gelernt, was Lebenheißt, was Malen heißt, was Kunst heißt. Es durfte nicht sein, daß jetzt die Inquisition mit ihren furchtbaren Händen nach ihm griff.
Er brachte es nicht über sich, das Schreiben des Heiligen Offiziums zu öffnen. Erging sich statt dessen in müßigen Betrachtungen. So lange hatten sie gewartet, hatten sie nicht gewagt, gegen ihn vorzugehen: wie kam es, daß sie jetzt auf einmal losschlugen? Er erinnerte sich, wie die beiden zusammen gesessen waren, Lucía und Pepa, lockend, spitzbübisch und gefährlich wie die Majas auf dem Balkon. Vielleicht war er einbegriffen in den Handel, den Lucía abgeschlossen hatte um die Rückkehr des Abate. Seit seinen Erfahrungen mit Cayetana war er voll von Argwohn; allen war alles zuzutrauen.
Er öffnete das Schreiben.
Das Inquisitionstribunal von Tarragona lud ihn ein, einem Auto particular beizuwohnen, in welchem Urteil gesprochen werden sollte über den Ketzer Diego Perico, früheren Abate, früheren Sekretär des Heiligen Tribunals von Madrid.
Für einen Augenblick war Goya erleichtert. Dann überfiel ihn tiefer Verdruß, daß ihm die Inquisition diese tückische Ladung übersandt hatte. Ihn, den Tauben, der doch von der Verlesung des Urteils nichts verstehen konnte, zwangen sie, sich den Strapazen der langen Reise ins fernste Aragón zu unterziehen. Es war eine niederträchtige Zumutung. Es war eine finstere Drohung, gerade weil es eine solche Zumutung war.
Wäre Francisco nicht durch sein Leiden behindert gewesen, dann hätte er wohl seine Sorgen Agustín mitgeteilt oder Miguel. So schämte er sich. Denn diese gefährliche Sache konnte man nur in Andeutungen bereden, in halbtonigen Worten, und er hätte die Antworten nicht verstanden, und es schien ihm lächerlich und bedrückend, zurückfragen zu müssen. Hätten ihm aber die Freunde ihre Antworten aufgeschrieben, so hätte das die Dämonen nur noch bedrohlich näher herangezogen. Mehrmals überlegte er, ob er sich nichtseinem Sohne Javier eröffnen solle. Vor dem hätte er sich nicht geschämt. Aber Javier war zu jung.
So trug denn Goya seine trübe Wissenschaft mit sich allein herum, hin und her geworfen zwischen Furcht und Hoffnung. Bald war er sicher, der Großinquisitor werde den Abate, nun er ihn einmal in seiner Gewalt hatte, auf den Scheiterhaufen schicken, ohne Rücksicht auf Don Manuel, und ihn, Goya, in Haft nehmen. Dann wieder sagte er sich, Don Manuel sei schlau, Lucía schlangenklug, bestimmt hätten sie sich Garantien geben lassen, daß der Prozeß nichts sein werde als eine finstere Farce und seine Vorladung eine leere Drohung.
Die Inquisition mittlerweile, obgleich durch den Brauch zur Geheimhaltung verpflichtet, verbreitete Gerüchte von dem bevorstehenden Autodafé, die Rückkehr des Abate als einen glorreichen Sieg darstellend. Gott, hieß es, habe das Gewissen des Ketzers geweckt, so daß er freiwillig nach Spanien zurückgekehrt sei, um sich dem Heiligen Offizium zu stellen.
Als Agustín auf diese Art von dem bevorstehenden Autodafé erfuhr, war er erschüttert. Zwar stießen des Abate preziöse Gelehrsamkeit und sein geckenhaft geistreiches Wesen ihn ab, und er war maßlos eifersüchtig, daß sich Lucía in diesen Menschen vergafft hatte: aber er bewunderte Don Diego darum, daß er sich um Lucías willen in den Rachen der Inquisition zurückbegeben hatte. Auch war er gescheit und ehrlich genug, Don Diegos fortschrittliche Gesinnung anzuerkennen, und der Triumph der Inquisition gerade über diesen Mann wurmte ihn.
Hin und her gerissen von zwiespältigen Gefühlen, fragte er Goya: »Wissen Sie, daß der Abate wirklich zurückgekehrt ist? Haben Sie gehört von dem Autodafé?«
»Ja«, sagte grimmig Goya und zeigte ihm die Ladung des Heiligen Tribunals.
Inmitten seines Schreckens fühlte Agustín Stolz. So tief also fürchteten die geistlichen Richter den tauben, einsamen Mann, für so wirkungsvoll hielten sie seine Kunst, daß sieihm eine solche Warnung schickten. Doch ließ Agustín von diesen Gedanken nichts verlauten. Vielmehr flüchtete er, genau wie Goya es getan hatte, in Zorn über die Zumutung der strapaziösen Reise. »Es ist eine Gemeinheit«, schimpfte er, »Ihnen solche Strapazen aufzuerlegen.« Daß Agustín die Vorladung so nahm, war Goya willkommen. Beide jetzt schimpften sie nicht auf die Inquisition und nicht auf Lucía, sondern auf die Anstrengungen der Reise.
»Ich begleite
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