Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
ihn mit scheuer Neugier, niemand richtete das Wort an ihn.
Das Tribunal hielt seinen Einzug. Die Standarte, das grüne Kreuz, die düstern Roben der geistlichen Richter, der ganze finstere Pomp stach seltsam ab von der modernen Einrichtung des Saales und der nüchtern zeitgenössischen Kleidung der Gäste.
Der Abate wurde hereingeführt. Goya hatte erwartet, er werde das gelbe Sünderhemd tragen, den Sambenito, aber – auch das war wohl eine Konzession, die man der Regierung hatte machen müssen – Don Diego trug einen bürgerlichen Anzug, einen nach Pariser Mode geschnittenen, und er war sichtlich bemüht, sich das Ansehen eines eleganten, ruhigen Herrn zu geben. Als er indes auf das Podium des Angeklagten geführt und in das niedere Holzgatter eingesperrt wurde, da, angesichts des düstern Prunkes und der eigenen Schmach, begann das Antlitz des Abate zu zucken, es wurde schlaff, es zerlöste sich, und der zynische Herr in der Einschließung seines hölzernen Zaunes und vor dem großartig gefährlichen Tribunal wirkte in seinem Alltagsanzug genauso kläglich, wie wenn er im Sambenito gesteckt wäre.
Der Prior der Dominikaner begann seine Predigt. Goyaverstand nicht, bemühte sich auch nicht zu folgen: er schaute. Und wiewohl dieses Tribunal soviel weniger Prunk und Macht entfaltete als damals das Gericht über den Olavide in der Kirche San Domingo El Real, war es nicht weniger finster und beklemmend. Denn was immer Lucía und Manuel mit dem Großinquisitor vereinbart hatten und ob Don Diego zu einer milden oder einer strengen Strafe verurteilt wurde, auch hier – das Gesicht des Abate offenbarte es – wurde ein Mensch vernichtet. Von einer so furchtbaren Demütigung, wie sie dieser Mann hier erlebte, erholte sich keiner mehr, und wenn er sein Herz mit noch soviel Skepsis, Vernunft, Tapferkeit umkrustet hatte. Und wenn er einmal, nach Jahren, sollte freigelassen werden, wird er den Makel des verurteilten Ketzers tragen, die Spanier werden sich mit Abscheu von ihm kehren.
Es hatte mittlerweile die Verlesung des Urteils begonnen. Auch dieses Mal dauerte sie lange. Fasziniert und mit Grauen schaute Goya zu, wie das Antlitz des Abate mehr und mehr zerweste, wie ihm die weltmännische, geistreiche Maske vollends abfiel und wie dahinter sichtbar wurde die Erniedrigung, die Verzweiflung, die Qual der Kreatur.
Dieser Abate hatte seinerzeit der Vernichtung des Olavide zugeschaut in der Kirche San Domingo, jetzt stand er eingesperrt auf der Schandbühne des Palacio del Patriarca, und er, Goya, schaute zu: wird nicht einmal er selber vor einem solchen grünen Kreuze stehen, vor solchen Kerzen, vor einem solchen feierlich drohenden Tribunal, in einem Holzgatter? Goya spürte, wie von neuem die Dämonen ihm näher kamen, nach ihm griffen. Sah geradezu leibhaft, was hinter der Stirn des gehetzten Abate vorging. Da war kein Gedanke mehr an die geliebte Frau, kein Gedanke mehr an ein mögliches Glück in der Zukunft, an die vollbrachte Leistung und an die zu vollbringende, da war nur das klägliche, abgründige, ewige Elend der Minute. Vergeblich sagte sich Goya, was da vor sich gehe, sei nichts als dummes Theater, eine gespenstische Posse mit abgekartet mildem Ausgang. Ihm war, wie ihm alsKnaben zumute gewesen war, der den Coco, den Popanz, den Schwarzen Mann, anzweifelte und erdrückende Angst verspürte, wenn er kam.
Und nun schwor der Abate ab. Den Mann in seinem eleganten, modernen Anzug vor dem schwarzverhängten Kreuz knien zu sehen, die Hand auf der aufgeschlagenen Bibel, war noch grauenvoller als damals das Schauspiel des büßenden Olavide in seinem Sünderkleid. Der Priester sprach ihm vor, und der Abate wiederholte die entsetzlichen, demütigenden Formeln.
Ehe er sich’s versah, war die heilige Handlung zu Ende, der Armesünder wurde weggeführt, die Gäste entfernten sich. Man ließ Goya gefährlich allein. Etwas schwankenden Schrittes, unsicher in seiner Taubheit, sonderbar benommen, ging er aus dem Dämmer des Raumes.
Agustín saß in der Posada, gegen seine Gewohnheit vor einer Flasche Wein. Er fragte, zu welcher Strafe der Abate verurteilt sei. Goya wußte es nicht, er hatte es nicht verstanden. Aber der Wirt konnte bereits berichten, Don Diego sei zu drei Jahren Einschließung in einem Kloster verurteilt. Der Wirt schien ein heimlicher Liberaler, voll Verehrung für den Herrn Ersten Maler, er war beflissen, doch auch er sonderbar scheu, beinahe mitleidig. Er erzählte von einem ungewöhnlich guten
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