Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
sie bestimmt nicht mehr.
Fünf Minuten nach acht kam sie, verspätet wie immer. Sie nahm den Schleier ab, schweigend, sie stand vor ihm vollkommen unverändert, das reine, ovale Gesicht wunderbar hell über dem kleinen, schlanken, schwarzgekleideten Leib. Sie standen und schauten einander an, und es war wie damals, da er sie gesehen hatte auf ihrer Estrade, und ihr großer Streit war nicht gewesen.
Auch in den nächsten Tagen, Wochen, Monaten war alles wie früher. Vielleicht sprachen sie weniger, aber hatten sie sich nicht von Anfang an durch Mienen und Gesten besser verständigt als durch Worte? Worte hatten es immer nur schlimm gemacht. Übrigens verstand er sie leichter als jeden sonst, er konnte ihr alles von den Lippen ablesen, ihm war, als hätte seine Erinnerung ihre harte, kindliche Stimme treuer bewahrt als die aller andern; jederzeit konnte er vor sein inneres Ohr den genauen Klang rufen jener letzten Worte, die sie zu ihm gesprochen hatte, nicht wissend, daß er sie hörte.
Sie gingen ins Theater, wiewohl er die Musik und den Dialog nur mehr sehen konnte, sie gingen in die Schenken der Manolería, und sie waren willkommen wie früher. »El Sordo – der Taube« hieß er überall. Aber er störte einen nicht durch grämliche Betrachtungen über seinen Mangel, er lachte mit den andern, wenn ihm ein komisches Mißverständnis unterlief, und er mußte wohl ein ganzer Kerl sein, sonst hielte nicht die Alba zu ihm.
Seine Erinnerungen waren nicht tot, er wußte um Cayetanas tückische Untiefen, aber die Träume lagen gut an der Kette. Gerade nachdem er hatte hinunter müssen in die atemraubende Tiefe, genoß er’s, daß er wieder im Lichte war. Niemals hatte er sie mit solcher Verzückung genossen wie jetzt, und sie gab ihm seine Berauschtheit zurück.
Er spürte kein Verlangen mehr, sie zu malen, und sie bat ihn nicht mehr darum. Seine großen Porträts von ihr waren unwahr, sie gaben nur die Oberfläche, aber er wußte, was darunter lag, er hatte es gesehen, und in seinem Elend und in seiner Einsamkeit hatte er es gemalt und gezeichnet, und das war die Wahrheit gewesen, seine Medizin, seine Heilung. Sie hatte ihm das Bitterste angetan, was einer dem andern antun kann, voll unschuldiger Tücke und lasterhafter Unwissenheit, aber sie hatte ihm auch das Mittel gegeben, das nicht nur Medizin war, sondern ihn stärker machte als vorher.
Um diese Zeit malte Goya viele Porträts, mit leichter Hand, nicht eben schlampig, doch so, wie er’s Jahre vorher auch hätte tun können, und er und Agustín wußten, er konnte jetzt Besseres. Er malte viele schöne Frauen, mit einer fröhlichen Sinnlichkeit, die ihre Schönheit strahlender machte. Er malte Herren des Hofes, der Armee, reiche Bürger, und sie schienen bedeutender, ohne daß er ihre Schwächen unterschlagen hätte. Seine Porträts brachten ihm neuen Ruhm und neues Geld, und Hof und Stadt waren überzeugt: es gab in Europa keinen größeren Maler als den tauben Francisco Goya.
Seinen Sohn Javier verwöhnte er weiter. Nahm leidenschaftlichen Anteil an allem, was der junge Mensch trieb. Hieß ihn in die Schule Ramón Bayeus gehen, auf daß er nicht manieriert werde in seinem eigenen Unterricht. Nahm die Kunsturteile Javiers wichtig. Häufig, wenn ihn Cayetana in seinem weiten, kahlen Haus, in der Quinta, besuchte, ließ er Javier zugegen sein. Das waren große Stunden für diesen. Sie behandelte ihn halb als Knaben, halb als jungen Kavalier. Gab ihm auf unmerkliche, liebenswürdige Art Unterweisung, was er tun und was er lassen solle. Dämpfte seine Sucht, sich übertrieben zu kleiden. Brachte ihm Geschenke mit, Berlocken, Handschuhe, einen Ring, und erzog ihn, die prunkvoll grellen Gegenstände, die er zu tragen und mit denen er sich zu umgeben liebte, durch edlere, geschmackvollere zu ersetzen. Er genoß den Vorteil ganz aus, in den Kreis der ersten Dame des Reiches aufgenommen zu sein, und die offen zur Schau getragene engeFreundschaft der Herzogin von Alba mit seinem Vater bestätigte ihm dessen überragende künstlerische Bedeutung.
Um diese Zeit fand sich der Reeder Sebastián Martínez aus Cádiz in Madrid ein und suchte Goya auf. Er verständigte sich mit Goya auf schriftlichem Wege; fasziniert schaute Francisco zu, mit welcher Schnelligkeit lange, gewundene Sätze unter den hurtigen Fingern des großen Kaufmanns entstanden, und er bedauerte beinahe, nicht mehr Sorgfalt auf die Wiedergabe dieser Hände gelegt zu haben.
Schließlich schrieb ihm
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