Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Señor Martínez auf: »Man hört, Sie haben in Cádiz und in Sanlúcar nicht nur Bilder für die Santa Cueva gemalt. Man hört von einer Venus. Bin ich unbescheiden, wenn ich Sie bitte, mir eine Kopie dieser Venus herzustellen?« Er kicherte, während er schrieb, dann hielt er Goya das Geschriebene hin. »Sie sind unbescheiden, Señor«, antwortete Goya. Hurtig schrieb Señor Martínez weiter: »Ich biete 50 000. Für eine Kopie.« Er unterstrich Kopie, er hielt das Geschriebene Goya hin, doch bevor dieser antworten konnte, zog er’s zurück und fügte flink hinzu: »Bin ich noch unbescheiden?« – »Sie sind unbescheiden, Señor«, wiederholte Goya. »100 000«, schrieb Martínez, machte die Nullen sehr groß, die Eins noch größer, und fügte wieder geschwind hinzu: »Noch unbescheiden?« – »Ja«, sagte schlicht Goya. Señor Martínez zuckte betrübt die Achseln und meinte, diesmal nicht schreibend, sondern artikuliert sprechend: »Sie sind sehr schwierig, Exzellenz.«
Señor Martínez machte der Herzogin von Alba seine Aufwartung. Sie lud ihn zu einem Fest. Das Fest dehnte sich lange aus. Es wurde dabei der »desmayo« getanzt, der Tanz des Schmachtens und der Ohnmacht, wobei erst der Tänzer, dann die Tänzerin dem Partner schlaff, mit Hingabe, geschlossenen Auges an die Brust fiel. Später führte man auch die »Marcha China« aus. Bei diesem »Chinesischen Marsch« krochen zuerst die Tänzer auf allen vieren durch den Saal, dann bildeten die Tänzerinnen eine »Chinesische Mauer«. Nebeneinander stehend beugten sie sich vor, bis die Händeden Boden berührten, und die Tänzer krochen unter der Reihe der Frauenarme durch; dann die Tänzerinnen unter den Männerarmen.
Cayetana nahm an beiden Tänzen teil, den »desmayo« tanzte sie mit dem Marqués de San Adrián, die »Marcha China« mit Señor Martínez. Francisco sah dem ekeln Schauspiel zu, und er mußte denken an den »Aquelarre«, den er gezeichnet hatte, an den Riesenlärm, das Mordsgaudium, den Hexensabbat, auf dem er den gewaltigen Bock dargestellt hatte, wie er auf seinen Hinterbeinen aufrecht hockt, das tanzende Hexengelichter segnend, und die blühende Anführerin des Gelichters ist Cayetana.
Allein der trübe Unmut, der Francisco füllte, war fern jener sinnlosen Wut, die er damals verspürt hatte, bei Cayetanas Fandango. Jetzt, da er Cayetana, San Adrián, Martínez und ihre andern Freunde auf diese läppische und gemeine Art über den Boden kriechen sah, erkannte er viel tiefer als mit dem bloßen Verstande, spürte er mit seinem ganzen Wesen, wie viele widerspruchsvolle Eigenschaften gleichzeitig in einem Menschen sein können, in jedem Menschen sind. Diese Frau, er wußte es, er hatte es erlebt, konnte voll Hingabe sein, zärtlich, leidenschaftlich, selbstlos wie keine zweite. Sie konnte sagen: »Ich liebe immer nur dich«, mit einer Stimme, die einen vergehen machte und die durch die Glocke der Stummheit drang, die über einen gestülpt war, und hier kroch sie auf dem Boden herum, ordinär, zotig spaßhaft, mit einem Lachen, dessen gekitzelte Schrillheit er sah, daß es spitz durch seine Taubheit stieß. So war sie nun einmal. So war ein jeder. So war er selber. Er stieg auf in den reinsten Himmel und tauchte hinunter in den schmutzigsten Schlund. Er entzückte sich hell und rein an der zauberischen Tönung der Farben und schmiß den Pinsel beiseite und ging hin, ohne ihn zu waschen, und warf sich mit heißer Brunst über eine Hure. So ist der Mensch gemacht. Man frißt Olla podrida und begeistert sich an Velázquez und glüht in der eigenen Kunst und wälzt sich auf einem schmutzigen Bettmit einem Fünf-Realen-Mensch und zeichnet die Dämonen und überlegt, ob man dem Dávila tausend Realen mehr für das Porträt abnehmen soll.
Von dem Feste fort, in der Nacht, ging er in seine Ermita.
Hier, in der ungeheuren Stille, setzte er sich mit Cayetana de Alba auseinander, ein überletztes Mal, wissend, daß sie die einzige war, die er je geliebt hatte und je lieben wird.
Die Kerzen rissen immer neue Teile des großen Raumes in ihr unsicheres Licht, und aus den tanzenden, wachsenden, schrumpfenden Schatten an der Wand wurden ihm Gesichter der Alba. Alle bösen Gesichter der Alba, die er je gesehen hatte, sah er von neuem, die höhnisch grinsenden, hexenhaften, verderberischen, doch auch die andern, die in Liebe sich hingebenden, die sich in Leidenschaft zerlösenden, und: Nicht vergessen! Die andern nicht vergessen! befahl er sich.
Er
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