Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
trachtete, ihr gerecht zu werden. Durfte nicht auch sie ihre Dämonen haben? Und Freude an diesen Dämonen? Möchte er selber ohne seine Dämonen leben? Das Leben wäre langweilig ohne sie; man würde werden wie Miguel. Er, Francisco, hatte seine Dämonen an der Kette, er konnte sein Böses und sein Ordinäres zeichnen. Cayetana hatte die ihren nicht an der Kette, nicht einmal beschreiben konnte sie ihre tote Zofe Brígida, geschweige denn sie aufs Papier werfen. Also mußte sie ihr Böses und Ungereimtes in Worten und Taten auslassen, mußte tun, was die tote Brígida ihr einflüsterte. Darum hatte sie den Desmayo tanzen müssen und die Marcha China. Oft war sie Cayetana, dann wieder Brígida.
Er schloß die Augen, und er sah sie, Cayetana und Brígida in einem. Und er zeichnete sie, ihre letzte Wahrheit, und seine letzte Wahrheit. Zeichnete den Traum, die Lüge, die Flatterhaftigkeit.
Da lagerte sie lieblich, und er gab ihr, der einen Frau, zwei Gesichter. Das eine ist einem Manne zugekehrt, der sie selbstverloren umfaßt hält, und der Mann trägt unverkennbar seine, Franciscos, Züge.
Doch das andere Gesicht, auch
Dieses schön, doch herrisch, schaute
Heischend harten Auges in die
Andre Richtung, äugelte mit
Andern Männern. Und die eine
Hand der zwiegesicht’gen Frau blieb
Ganz dem einen, dem verliebten
Manne willig überlassen,
Doch die andre Hand empfing die
Botschaft einer zwiegesicht’gen
Brígida, dieweilen eine
Zweite, dicke Brígida ver-
Schmitzt den Finger an die Lippen
Hielt. Und vor der Liegenden und
Um sie kroch es, wand es sich, Ge-
Zücht, sich schlängelnd, lauernd, Kröten,
Vipern, grinsend breit ein Dämon.
Aber ferne, in der Höhe,
Leicht und luftig, unerreichbar,
Leuchtete ein Schloß, gebaut wohl
Aus den Träumen des verliebten
Narren.
16
Es befand sich im Manzanares-Tale, im Bereich der Casa del Campo, wo der König zu jagen pflegte, in der Florida eine kleine, dem Heiligen Antonius von Padua geweihte Kirche. Sie lag dem König am Wege, wenn er, von der Jagd zurückkehrend, seine Abendandacht verrichten wollte. Nun war sie verfallen, und Don Carlos, der gerne baute, gab dem Architekten Ventura Rodríguez Auftrag, sie umzubauen. Señor Rodríguez liebte die heitern, prächtigen Bauwerke, wie sie in den sechziger und siebziger Jahren üblich gewesen waren. Er schlug vor, aus der Ermita de San Antonio de la Florida einSchmuckkästchen zu machen, und Don Carlos war sogleich damit einverstanden. Francisco Goya hatte seinerzeit die hübschen, fröhlichen Gobelins gemacht; er war der rechte Mann, die kleine Kirche auszumalen.
Francisco freute sich des Auftrags. Daß der fromme König gerade ihn, nachdem er so bedrohlich zu dem Autodafé geladen worden war, mit der Schmückung seiner Lieblingskirche betraute, war ein guter Schild gegen weitere Angriffe des Großinquisitors. Andernteils fühlte er sich, wenn er Religiöses malen sollte, immer etwas unbehaglich. »Gewiß«, sagte er zu Cayetana, »wer sein Handwerk versteht, kann alles malen. Aber im Malen von Heiligen bin ich nun einmal nicht sehr gut. Den Teufel kann ich ausgezeichnet porträtieren, ich habe ihn oft gesehen, aber die Heiligen selten.«
Darstellen sollte er eines der Hauptwunder des Heiligen Antonius. Da war ein Unschuldiger einer Mordtat bezichtigt worden, und der Heilige erweckte den Ermordeten zum Leben, daß er Zeugnis ablege für die Unschuld des Verklagten.
Francisco hatte aus einer Zeit schweren Unmuts und Ungemachs zurückgefunden in ein heiter leichtes Leben, die Darstellung von Mordtaten und Erhabenem reizte ihn nicht. Allein er fand eine Lösung.
Brav in die Kuppelwölbung malte er das Wunder. Da steht in seiner Franziskanerkutte der Heilige Antonius, hager, vor einem grauen Himmel, er neigt sich vor mit dringlicher Gebärde, und schauerlich aus seiner Starrheit hebt sich der halbverweste Leichnam, und fromm und selig breitet der Unschuldige die Arme aus. Dieses Wunder aber vollzieht sich vor zahlreichen Zuschauern, und sie, die Zuschauer – das war die Lösung –, malte Goya mit besonderer Liebe. Der Heilige, der Tote und der Unschuldige wurden ihm zu Requisiten, der zuschauenden Menge gehörte seine ganze Teilnahme. In diese Menge hinein malte er die Stimmung, in welcher er jetzt lebte, seine neue, fröhliche, wissende, erfahrene Jugend.
Es sind keine Zeitgenossen des Heiligen Antonius, welche Goya da malte, es sind eher Madrilenen seiner eigenen Umgebung,richtige Madrilenen, viele wohl
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