Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
gegen helle, fröhliche Gesichter und Gewänder in der Darstellung religiöser Vorgänge, und hatte er nicht selber angeordnet, daß seine Kirche heiter sei? Aber was da sein Erster Maler gemacht hatte, war das nicht doch zu unheilig und frivol? Diese Engelinnen waren so gar nicht engelhaft. »Die da mit den zusammengeklappten Flügeln, die kenn ich doch«, sagte er auf einmal. »Das ist doch die Pepa! Und die da, das ist doch die Rafaela, die erst das Verhältnis hatte mit dem Acros und die dann von dem jüngern Colomero ausgehalten worden ist und die jetzt so oft im Polizeibericht vorkommt. Mein lieber Don Francisco, solche Engel, die gefallen mir nicht. Ich weiß schon, Kunst veredelt. Aber die Rafaela, die, scheint mir, haben Sie nicht genügend veredelt.« Die laute Stimme des Königs füllte die kleine Kirche und klang allen wie Gewitter, nur nicht Francisco, denn der hörte sie nicht. Er reichte dem König sein Heft hin, und: »Ich bitte demütig um Verzeihung, Sire«, sagte er, »aber würden Sie geruhen, mir die Worte Ihrer Allerhöchsten Anerkennung aufzuschreiben?«
Doña María Luisa griff ein. Es war natürlich richtig: dieser Engel mit den eingezogenen Flügeln glich der Person, der Pepa, und der andere, der mit den aufgespannten Flügeln, erinnerte einen an die stadtbekannte Rafaela, und Goya hätte sich andere Modelle aussuchen können. Aber es waren schließlich keine Porträts, es waren nur Ähnlichkeiten, man konnte unter dem himmlischen und irdischen Volk der Fresken so viele Ähnlichkeiten entdecken, wie man wollte, das war nun einmal so Goyas Art, und eigentlich war es schade, daß er nicht auch sie selber, Doña María Luisa, in das Freskohineingenommen hatte. Wenigstens stand jetzt die Pepa neben der Hure Rafaela. Überdies fühlte sich María Luisa durch das Deckengemälde erinnert an eine ähnliche Malerei des Correggio in Parma, und an ihr liebes Parma dachte sie immer gerne. »Da haben Sie wieder ein Meisterwerk geschaffen, Don Francisco«, sagte sie sehr artikuliert. »Gewiß, Ihre Engel und einige Männer und Frauen unter Ihren Zuschauern führen sich ein bißchen sehr lustig auf, da kann ich dem König nur beipflichten, aber die Engel und die Menge haben sich eben berauscht am Anblick des Wunders.«
Da María Luisa das Werk billigte, war sogleich auch Don Carlos besänftigt. Er schlug Goya freundlich auf die Schulter. »Das muß anstrengend gewesen sein«, meinte er, »immer da oben herumzuklettern und zu malen. Aber ich weiß ja, Sie haben Schmalz in den Knochen.« Und alle jetzt, die Granden und die Geistlichen, rühmten das Werk Franciscos.
Draußen mittlerweile hatte sich Volk aus dem Manzanares-Tal gesammelt, um die Abfahrt des Königs und seines Gefolges mit anzusehen. Sie grüßten den König und jubelten ihm zu. Goya war unter den letzten, welche die Kirche verließen, viele erkannten ihn und brachen bei seinem Anblick in neues, großes Geschrei aus. Goya sah, daß sie jubelten, er wußte, daß man ihn gern hatte in seinem Madrid, er merkte, daß diese letzten Rufe ihm galten. Er war in Galatracht, den dreieckigen Hut trug er unterm Arm. Er setzte ihn auf und nahm ihn wieder ab, wie das üblich war, um die Grüße zu erwidern, und er sah, daß ihm die Menge noch lauter zuschrie.
Sein Wagen fuhr vor, er fragte seinen Bedienten Andrés, was denn die Leute geschrien hätten. Andrés, der seit Goyas Ertaubung weniger mürrisch und viel beflissener geworden war, bemühte sich, die Worte sehr deutlich zu artikulieren. Sie hatten aber geschrien: »Es lebe der Heilige Antonius! Es lebe die Allerheiligste Jungfrau und ihr ganzer himmlischer Hofstaat! Es lebe Francisco Goya, der Hofmaler des Heiligen!«
In den nächsten Tagen fuhr ganz Madrid in die Florida, um sich Goyas Fresken zu beschauen. Ein Regen von Ruhm ging auf ihn nieder. Man sprach und schrieb ekstatisch von Goyas neuer Schöpfung. »Es sind in der Florida zwei Wunder zu sehen«, schrieb der Kunstkritiker Iriarte, »eines des Heiligen Antonius, eines des Malers Francisco Goya.«
Höchlich aber mißbilligte Goyas Malerei der Großinquisitor Reynoso. Da hatte man den Ketzer nach Tarragona geladen, und nun war er noch frecher als vorher. »Wenn er Heilige malt«, grollte der Inquisitor-Kardinal, »malt er die sieben Todsünden mit und macht sie reizvoller als die Tugenden.« Am liebsten hätte er den Sünder verhaftet und die Kirche geschlossen. Aber dieser Goya war schlau. Nichts Nacktes war zu sehen, nichts greifbar
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