Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
aus der Manolería. Auch erweckt das Wunder in ihnen nicht eben fromme Gefühle, eher betrachten sie es als eine großartige Stierhetze, als ein Auto sacramental ersten Ranges. Sie lehnen, diese Zuschauer, bequem an einer Balustrade, die prunkvoll behängt ist mit einem Mantón, einige Lausbuben reiten und klettern gar auf der Balustrade herum. Sie schwatzen miteinander, diese Madrilenen, machen sich einer den andern auf die Vorgänge aufmerksam. Einige sind angeregt und schauen sachverständig zu, ob der schon Verwesende auch wirklich lebendig wird, andere sind ziemlich unbeteiligt, flirten, erzählen sich Geschichten, die nicht notwendig mit dem Wunder zu tun haben. Um den Unschuldigen kümmert sich keiner.
In die Eingangswölbung aber, in die Kuppelbögen und Fensterlunetten malte Goya Cherubim und andere Engelsgestalten. Es sind ungewöhnlich hübsche, weibliche Engel mit vollen, wollüstigen Gesichtern, sie sind sehr bekleidet, gemäß den Vorschriften der Inquisition, aber bemüht, ihre körperlichen Vorzüge ins Licht zu stellen. Diese Engelinnen malte Goya mit hohem Vergnügen. Außer den Flügeln gab er ihnen nichts Engelhaftes, wohl aber gab er ihnen jene anonymen und dennoch sehr kenntlichen Gesichter, wie nur er sie zu malen verstand, Gesichter von Frauen, ihm und manchem andern sehr vertraut.
Goya wandelte sich, da er die Ermita de San Antonio ausmalte, zurück in den sorglosen, übermütigen Goya der ersten Jahre bei Hof, als er mit grenzenloser Lust teilgenommen hatte an dem unbeschwerten Leben ringsum. Die Taubheit war ihm nichts als ein kleines, wenig störendes Ärgernis, er war wieder der als Hofherr verkleidete Majo, laut, farbig, voll von prahlerischem Leben. Ein letzter Schimmer seiner heitern, unbekümmerten Vergangenheit leuchtete ihn an. Die Fresken dieser Ermita wurden neue Gobelins, doch gemalt von einem, der sehr viel mehr konnte und sehr viel mehr wußte um Farbe, Licht, Bewegung.
Die kleine Kirche lag der Quinta Goyas nahe, und nahedem Palacete Buenavista. Cayetana kam häufig herüber von ihrem Landsitz, ihm bei der Arbeit zuzuschauen. Auch Javier kam oft, Agustín war beinahe immer da, es kamen noch andere der Freunde Goyas, Granden und Grandinnen sowohl wie Leute aus den Schenken der Manolería. Die Arbeit ging Goya schnell von der Hand. Alle waren fröhlich erstaunt, mit anzuschauen, wie frisch und behende Francisco auf den Gerüsten herumkletterte und wohl auch auf dem Rücken liegend malte. Es war verblüffend mitzuerleben, wie aus dem Nichts diese laute, bunte Menge entstand, diese drallen, muntern Cherubim, diese zur Lust reizenden Engelinnen.
Zwei Tage, nachdem Goya gemeldet hatte, das Werk sei fertig, besichtigte der König, mit Gefolge von der Jagd kommend, seine neue Kirche.
Da standen diese Herren und Damen in Jägerkleidung in der kleinen, nicht eben gut belichteten Kirche, die aber hell und fröhlich wurde durch das heitere Getümmel der Goyaschen geflügelten und ungeflügelten Madrilenen. Ein wenig erstaunt waren die Granden und Grandinnen über die höchst weltliche Darstellung des heiligen Geschehnisses. Aber hatten nicht auch andere Meister, ausländische freilich, erhabene Vorgänge zuweilen sehr bunt und heiter dargestellt? Sie selber, die vornehmen Beschauer, hatten in den letzten Monaten viele Sorgen; es gefiel ihnen, daß sich dieser taube, alternde Mann mit solchem Elan zur Lust des Lebens bekannte. Es war angenehm, zurückzutauchen in jene Jahre, da man sich selber so aufgeführt hatte wie diese Engel und dieses lustige Volk. Im Grunde war es ja auch eine glückselige Angelegenheit, welche auf diesen Fresken vor sich ging, es geschah selten genug, daß ein unschuldig Verurteilter durch das Dazwischentreten eines Heiligen gerettet wurde, es war erfreulich, ein so heiteres Wunder mit anzuschauen, und vielleicht tat der liebe Gott auch an uns ein Wunder und erlöste uns vom Krieg, von den Franzosen und von den ewigen finanziellen Nöten.
So dachten sie und hätten gerne gelobt. Aber sie warteten auf eine Äußerung des Monarchen und schwiegen. Sie mußtenlange schweigen, und man hörte nichts als durch das geöffnete Kirchentor den gedämpften Lärm einer sich sammelnden Menge und das Wiehern der stampfenden Pferde.
Carlos ließ sich Zeit. Er wußte nicht recht, was er aus dieser Malerei machen sollte. Er war kein Griesgram, er liebte einen Spaß, er wollte auch seine Frömmigkeit und sein Gebet nicht zu düster haben, er hatte im Prinzip nichts einzuwenden
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