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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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plötzlich stürzte die neue, ungeheure Welt der Caprichos auf ihn ein, diese Fülle unerhörter, wirklich überwirklicher Erlebnisse. Oft und abermals beschaute er jede einzelne Zeichnung, konnte sich nicht von ihr trennen, legte sie fort, zu gierig auf die neue. Er vergaß sich selber, vergaß Don Manuels Edikt. Fraß sich ein, lebte sich ein in die neue Welt. Wohl hatte er in dem oder jenem Blatt, das ihn Francisco früher hatte sehen lassen, etwas gespürt von der Lustigkeit, Wildheit, Unheimlichkeit dieser Zeichnungen: aber was sich nun vor ihm auftat, das, in seiner grimmigen Üppigkeit, war ein Neues. Es riß auf einen neuen, unbekannten Goya, der eine neue, tiefere Welt entdeckt hatte als alle früheren.
    Agustín schaute, schmatzte, sein Gesicht zuckte. Goya ließ ihm Zeit. Er schaute ihm zu, wie er schaute, und das war eine starke Bestätigung.
    Endlich, überwältigt, erschüttert, so daß er nur mühsam sprechen und Goya ihm die Worte kaum von den Lippen ablesen konnte, sagte Agustín: »Und da hast du uns reden lassen! Und da hast du uns klugschwatzen lassen! Wir müssen dir ja alle vorgekommen sein wie Narren und Blinde!« Da er sah, daß ihn Goya nicht richtig verstand, fing er an, die Zeichensprachezu nutzen, er gestikulierte heftig, es ging ihm zu langsam, er fiel zurück in sein enthusiastisches Schwatzen und Schmatzen: »Das da war in dir und vielleicht schon außer dir, und uns hast du reden lassen.« Und immer wieder die Blätter vornehmend, unfähig, sich von ihnen loszureißen, jubelnd, bewundernd, schimpfte er: »Ein ganz gemeiner Hund bist du. Da sitzt du hier, heimlich, und machst das! Du Duckmäuser, du hinterhältiger! Ja, jetzt hast du sie an die Wand gedrückt, alle, die Heutigen und die Früheren!« Er lachte albern, glücklich, er legte Goya den Arm um die Schultern, er war kindisch, und Francisco war glücklich. »Endlich siehst du’s ein«, brüstete er sich, »was für ein Kerl dein Freund Goya ist! Immer kannst du nur schimpfen. Nicht das geringste Vertrauen hast du. Mir die Ermita einrennen mußtest du und hast nicht warten können. Nun, bin ich verkommen? Bin ich verschlammt und verwest?« Und einmal über das andere Mal wollte er wissen: »Sag selbst, sind sie nicht lustig, meine Zeichnungen? Hab ich was gemacht aus deiner Technik?«
    Agustín, das Aug auf einer besonders bizarren Zeichnung, sagte, beinahe demütig: »Dieses Blatt versteh ich nicht recht, noch nicht. Aber das Ganze begreife ich. Das müssen ja alle begreifen, dieses Furchtbare und Beglückende. Sie müssen es begreifen.« Er lächelte. »Idioma Universal.«
    Goya, dieses hörend, war seltsam betreten. Wohl hatte er sich zuweilen gefragt, wie die Blätter wohl auf andere wirken mochten, und ob überhaupt er andere das Werk sehen lassen solle; aber er hatte solche Erwägungen sogleich, beinahe ängstlich, zurückgeschoben. Seitdem gar Cayetana so ärgerlich fremd vor den Zeichnungen gestanden war, hatte er grimmig beschlossen, daß keine anderen Augen mehr diese Blätter erblicken sollten. Der furchtbare und lächerliche Kampf mit den Gespenstern blieb seine eigene, höchst persönliche Angelegenheit. Die Caprichos herumzuzeigen, das wäre, wie wenn er nackend durch die Straßen von Madrid liefe.
    Agustín las dem Freunde die Bedrängnis vom Gesicht ab und übersetzte sie sich ins Realistische. Es kam ihm zuBewußtsein, was natürlich auch Goya wissen mußte: daß nämlich diese Blätter gefährlich waren, auf den Tod gefährlich. Ein Mann, der den Leuten solche Zeichnungen vor Augen brachte, konnte gleich hingehen und sich selber der Inquisition als Erzketzer ausliefern. Dies bedachte Agustín und spürte in ihrer ganzen Kälte die Einsamkeit seines Freundes Francisco. Da hatte der Mann dieses Entsetzliche und Groteske aus sich herausgezwungen, ganz allein, er hatte den Mut gehabt, es aufzuzeichnen, ganz allein und ohne die Hoffnung, daß irgendwann andere an seinen großen, schrecklichen Gesichten sollten teilhaben können.
    Francisco, als hätte Agustín laut gedacht, sagte: »Ich hätte gescheiter sein sollen. Vielleicht wäre es besser gewesen, nicht einmal deine Augen hätten diese Zeichnungen gesehen.« Er raffte die Blätter zusammen. Agustín ließ es geschehen, wagte nicht, ihm zu helfen.
    Als aber Goya, mürrisch, die Zeichnungen wieder in die Truhe warf, riß sich Agustín aus seiner Benommenheit. Es war nicht ausdenkbar, daß diese Blätter hier in der Truhe sollten liegenbleiben, ungesehen, auf

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