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Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman

Titel: Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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rechten Wort suchen, aber gerade das machte Spaß. Schien ihm der Name einer Radierung zu platt, dann schrieb er dazu eine kurze Erklärung. Schließlich hatte jedes Blatt nicht nur seinen Titel, sondern auch seinen Kommentar. Manchmal war die Unterschrift brav und tugendhaft und dafür der Kommentar um so beizender, manchmal der Titel verfänglich und dafür die Interpretation naiv erbaulich. Sprichwörtliche Redensarten, grimmige Witze, harmlose Bauernregeln, ironisch fromme Lehren, verschmitzt pfiffige Aussprüche und hintergründig weise, das alles klang ineinander.
    »Tantalus« schrieb er unter die Zeichnung, welche den verzweifelten Liebhaber vor der toten, leise blinzelnden Geliebten zeigt, und verhöhnte sich selbst und kommentierte: »Wäre er ritterlicher und weniger langweilig, dann erwachte sie wieder zum Leben.« Und: »Keiner kennt sich« schrieb er unter seinen Maskenball, und unter die Alte, die sich vor dem Spiegel umständlich und kostbar für ihren fünfundsiebzigsten Geburtstag schmücken läßt, schrieb er: »Bis zum Tode«. Die Zeichnung der Maja, die aufgeputzt wird, während die Brígida, die Kupplerin, den Rosenkranz betet, kommentierte er: »Sie betet für sie – und hat sie nicht recht? –, daß Gott ihr Glück verleihe und sie befreie vom Übel und von den Badern, Ärzten und Gerichtsvollziehern, auf daß sie anstelligwerde, geweckt und allen dienstlich wie ihre selige Mutter.« Zu dem Blatte aber, auf welchem die arme Hure vor dem Sekretär des Heiligen Tribunals sitzt und ihr Urteil hört, schrieb er: »Eine wackere Frau, die für ein Butterbrot alle Welt so fleißig und ersprießlich bedient hat, so zu behandeln, schlimm, schlimm!« Jene Radierung aber, auf welcher die Hexe, hockend auf den Schultern des Satyrs, den seligen Geistern das blasphemische Gelübde ablegt, kommentierte er: »Schwörst du, deinen Lehrern und Vorgesetzten zu gehorchen und sie zu ehren? Speicher zu fegen? Schellen zu klingeln? Zu heulen, zu kreischen? Zu fliegen, zu salben, zu saugen, zu blasen, zu braten? Zu tun, was immer es sei und wann immer man dir’s aufträgt? – Ich schwöre. – Schön, meine Tochter, somit bist du Hexe. Herzlichen Glückwunsch.«
    Lange erwog er, welches Blatt er an den Anfang setzen sollte. Er entschied sich dafür, voranzustellen jene Zeichnung, auf der er selber zu sehen war, über den Tisch geworfen, die Augen schützend vor den Gespenstern. Und er nannte das Blatt: »Idioma Universal«. Dann aber schien ihm dieser Titel zu anmaßend, und er nannte die Zeichnung: »Der Schlaf der Vernunft«. Und erläuterte: »Solange die Vernunft schläft, erzeugt die träumende Phantasie Ungeheuer. Vereinigt mit der Vernunft aber, wird die Phantasie zur Mutter der Künste und all ihrer Wunderwerke.«
    Die Caprichos zu beschließen aber machte er eine neue Zeichnung.
    Da kommt in Panik gerannt ein ungeheurer, maßlos häßlicher, gespenstischer Mönch, und hinter ihm ein zweiter, und vorne steht aufgerissenen Maules einer jener hirnlosen, gespenstischen Granden, eines der Faultiere, der Chinchillas, und noch ein vierter Gespensterling ist da, ein mönchischer, schreiender. Und unter das Blatt setzte Goya den Schrei, der aus den vier gräßlichen, riesig aufgerissenen Rachen tönt:
    »Ya es hora. Sie ist da, die
    Stunde, abgelaufen ist die
    Zeit.« Und jeder mußte sehen:
    Sie war da, die Stunde. Aus war
    Es mit den Gespenstern. Fort, sie
    Mußten fort, der automaten-
    Hafte Grande, er und seine
    Spießgesellen, die Prälaten
    Und die Mönche. Ya es hora.
    So war’s recht: das war die Zeichnung,
    Die Caprichos zu beschließen.
    Ya es hora!

25
    Seitdem Goya den Freunden die Caprichos gezeigt hatte, achtete er weniger darauf, die stille Strenge der Ermita zu wahren. Die Freunde kamen öfter und ohne Formalitäten.
    Eines Tages, als sie zu dreien kamen, Agustín, Miguel und Quintana, wies Miguel lächelnd auf den jungen Dichter und schrieb Goya auf: »Er hat dir was mitgebracht.« Und da Goya fragend auf den errötenden Quintana schaute, fuhr Miguel fort: »Er hat eine Ode geschrieben, die dich angeht.« Quintana nahm zögernd das Manuskript aus der Mappe und wollte es Goya überreichen. Agustín aber drängte: »Lesen Sie doch die Verse vor, bitte.« Und Goya stimmte ihm bei: »Ja, bitte, lesen Sie, Don José! Ich schaue gerne zu, wenn Sie lesen. Ich verstehe das meiste.«
    Quintana las, es waren klingende Verse. »Verfallen«, las er,
    »Verfallen ist das Reich, die Weltherrschaft
    Vertan.

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