Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
Bernardino?« – »Was denn sonst?« antwortete Miguel. »Wollen Sie Francisco auf den Scheiterhaufen bringen?« Und: »Wenn diese Blätter unter die Leute kommen«, mischte dumpf Agustín sich ein, »dann zündet die Inquisition ein Feuer an, vor welchem jedes frühere Autodafé zu einer traurigen Talgfunzel wird. Das wissen Sie doch selber.« – »Mit eurer verdammten Vorsicht!« rief bitter Quintana. »Ihr wollt aus jedem einen Feigling machen!« Agustín wies auf einzelne der Radierungen. »Soll das hier veröffentlicht werden?« fragte er. »Und das?« – »Einiges müßte natürlich wegbleiben«, gab Quintana zu. »Aber das meiste kannveröffentlicht werden. Muß veröffentlicht werden.« – »Das meiste kann nicht veröffentlicht werden«, erwiderte scharf Miguel. »So viel weglassen kann man gar nicht, daß nicht die Inquisition einschreitet, und die Gerichte des Königs dazu.« Und da die andern finster und ratlos schwiegen, tröstete er höflich: »Man muß die rechte Zeit abwarten.« – »Wenn Ihre ›rechte Zeit‹ da ist«, sagte Quintana, »dann sind diese Zeichnungen nicht mehr nötig. Dann sind sie Kunst – und überflüssig.« – »Das ist nun so das Los des Künstlers«, bemerkte nachdenklich der junge Javier. Quintana aber beharrte: »Kunst ist sinnlos, wenn sie nicht wirkt. Don Francisco hat die Angst sichtbar gemacht, die tiefe, heimliche, die auf dem ganzen Lande liegt. Man braucht sie nur zu zeigen, und sie verfliegt. Man braucht dem Coco, dem Schwarzen Mann, nur die Kleider abzureißen, und er ist nicht mehr gefährlich. Soll Goya sein Meisterwerk für uns fünfe gemacht haben und für niemand sonst?«
Sie tauschten Rede und Gegenrede, als wäre Goya gar nicht da. Der hörte zu, schweigend, vom Munde des einen zum Munde des andern sehend, und wiewohl er nicht alles verstand, so kannte er doch die einzelnen gut genug, um sich ihre Argumente zusammenreimen zu können.
Nun hatten sie ihre Gründe erschöpft und schauten auf ihn und warteten. Er, schlau und nachdenklich, erklärte: »Was du gesagt hast, Miguel, läßt sich hören, aber was Sie gesagt haben, Don José, hat auch vieles für sich. Da nun leider eines dem andern stracks widerspricht, muß ich mir alles gut überlegen. Ich muß auch bedenken«, fuhr er schmunzelnd fort, »daß ich mir’s eigentlich nicht leisten kann, so viel Arbeit umsonst gemacht zu haben. Ich brauche Geld.«
Damit packte er die Zeichnungen und Radierungen zusammen und sperrte sie in die Truhe.
Alle schauten zu, benommen,
Wie die neue, zauberische,
Wilde Welt versank. In diesem
Haus hier, dem alltäglich lauten,
In der unscheinbaren Truhe,
Ungesehn, lag nun das Größte,
Was seit dem Velázquez eine
Span’sche Hand geschaffen. In der
Truhe hier, gezähmt, gefangen,
Lagen Spaniens Dämonen.
Aber waren sie gezähmt, wenn
Man’s nicht wagte, sie zu zeigen?
War nicht grade dadurch ihre
Macht erwiesen? Was da in der
Truhe lag, war nicht geheuer.
Und den Freunden, als sie fort aus
Der Ermita gingen, staunend,
Voll Begeisterung, und trotzdem
Scheu, gedrückt, den Freunden folgten
Die unheimlichen, die wilden,
Wüsten Schatten der Gespenster
Und die unheimlicheren der
Menschen.
24
Goya lernte gerne von dem Eindruck, den sein Werk auf andere machte. Da die Freunde, die doch guten Willens und aufgeschlossen waren, viele der Caprichos nicht begriffen hatten, machte er sich daran, die allzu dunkeln, allzu persönlichen herauszunehmen und die andern in eine übersichtliche Folge zu bringen.
Er stellte diejenigen Blätter voran, die leicht verständliche Situationen und Anekdoten wiedergaben. Diesen Blättern aus der »Wirklichkeit« ließ er jene Radierungen folgen, die Gespenstisches und gespenstische Einflüsse darstellten. SolcheOrdnung war ein leichter Weg zum rechten Verständnis, die Welt der Wirklichkeit wies hin auf die Welt der Dämonen, und diese zweite Gruppe, die der Gespenster, deutete die erste, die der Menschen. Seine eigene Geschichte, wie sie in den Caprichos aufgezeichnet war, dieser wirre Traum von seiner Liebe, seinem Aufstieg, seinem Glück, seinen Enttäuschungen, gewann in solcher Anordnung den rechten Sinn. Wurde zur Geschichte aller, zur Geschichte Spaniens.
Nachdem er sie geschieden, geschichtet und geordnet hatte, ging er daran, den einzelnen Blättern Namen zu geben; denn schließlich mußte eine gute Zeichnung ihren Namen haben, genau wie ein guter Christ. Er war kein Schriftsteller, oft mußte er lange nach dem
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