Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
sie durch andere ärztliche Gutachten geschlagen: Madrids Luft sei zwar zu dünn, doch werde sie zur Genüge verdickt durch den Rauch und Ruß der industriellen Unternehmungen, die er nach Madrid gebracht habe.
Bald aber verlor sich die freundliche Laune Don Gaspars, und er steigerte sich hinein in immer wildere Anklagen gegen das heutige Regime. »Wir seinerzeit«, ereiferte er sich, »haben durch Verminderung der Steuern die Lebenshaltung der untern Klasse verbessert. Wir haben bewirkt, daß wenigstens jedes achte Kind in die Schule gehen konnte, und wenn unsere Goldschiffe aus Amerika kamen, dann haben wir sogar kleine Rücklagen gemacht. Das gegenwärtige Regime hat alles wieder verpraßt. Sie haben nicht begriffen, diese Herren und Damen, daß die Verschwendung Marie-Antoinettes eine der Hauptursachen der Revolution war. Sie verschwenden wilder. Sie halten sich Günstlinge und englische und arabische Pferde, statt die Armeen zu verstärken. Wir förderten Bildung und Wohlstand, diese säen Unwissenheit und Elend, und nun ernten sie Verwüstung und Niederlage. Unter uns waren die spanischen Farben Gelb und Rot, unter diesen sind sie Gold und Blut.«
Francisco erschienen die Reden des Jovellanos verzerrt und übertrieben. Er mochte recht haben in Einzelheiten,doch verfälschte ihm der Haß das Gesamtbild, und wenn ihn Goya jetzt hätte malen sollen, dann hätte er einen finstern, engstirnigen Eiferer gemacht und nichts sonst. Dabei war ohne Zweifel dieser Gaspar Jovellanos einer der klügsten und tugendhaftesten Männer des Landes. Wer sich auf Politik einließ, der mußte eben übertreiben, nach der einen Seite oder nach der andern. Goya war froh, daß er selber nichts mit Politik zu tun hatte.
Die ganze Zeit über hatte Jovellanos das Bild Don Manuels mit finstern Blicken gemustert. Jetzt hob er den Finger und deutete anklägerisch auf den Herzog, der ihn, halbfertig und hochmütig, von der Leinwand anschaute. »Wenn dieser Herr und seine Dame«, wütete er, »nicht so wilde Verschwender wären, dann wäre mehr Geld für Schulen da. Aber gerade das will man nicht. Man fördert die Unwissenheit, damit das Volk nicht erkenne, wo die Ursache seiner Leiden liegt. Wie kommt es, daß das arme Frankreich siegreich ist gegen die ganze Welt? Ich will es euch sagen, meine Herren. Es ist, weil das französische Volk der Vernunft anhängt, der Tugend, weil es Gesinnung hat. Was aber haben wir? Einen König ohne Hirn, eine Königin, die nichts gelten läßt als die Gelüste ihres Unterleibes, und einen Ersten Minister, der einen einzigen Befähigungsnachweis mitbringt: stramme Schenkel.«
Francisco war empört. Der Vierte Carlos war nicht übermäßig klug, zugegeben, und Doña María Luisa war launisch und geil; aber der König war wohlmeinend und auf seine Art würdig und die Königin höllisch gescheit, und sie hatte dem Lande eine ganze Reihe lebendige Infanten und Infantinnen geschenkt. Was gar Don Manuel anging, so ließ sich sehr gut mit ihm auskommen, wenn man ihn nicht reizte. Er jedenfalls, Francisco, war froh, daß diese Persönlichkeiten ihn ihrer Freundschaft würdigten. Er war überzeugt, daß die Macht den Königen von der Gnade Gottes verliehen sei, und wenn Jovellanos wirklich glaubte, was er daherredete, dann war er kein Spanier und sollte sich nach Frankreich scheren, in das Land der Gottlosen und Meuterer.
Aber Goya zähmte sich und sagte nur: »Sind Sie nicht ein wenig ungerecht gegen den Herzog, Don Gaspar?« – »Ein wenig?« fragte Jovellanos zurück. »Sehr, hoffe ich, sehr. Ich will nicht gerecht sein gegen diesen Lumpen. Daß er gegen mich ungerecht war, das ist unter seinen vielen Übeltaten diejenige, die ich ihm am wenigsten verdenke. Man kann nicht Politik machen mit Gerechtigkeit. Tugend ist nicht identisch mit Gerechtigkeit. Tugend verlangt, daß man zuweilen ungerecht sei.«
Immer noch sanft, ja das Ironisch-Zwiespältige seiner Situation ganz auskostend, meinte Francisco: »Aber am Ende ist Don Manuel doch bemüht gutzumachen, was er Ihnen angetan hat. Warum sonst hätte er Sie zurückgerufen?« Jovellanos, mit zornigem Blick auf das halbfertige Porträt, antwortete: »Es raubt mir den Schlaf meiner Nächte, daß ich diesem Menschen zu Dank verpflichtet sein soll.«
Mit einem jener plötzlichen Umschwünge indes, welche viele für immer vergessen machten, was an ihm Hartes, Kantiges, Abstoßendes war, fuhr er fort: »Aber sprechen wir nicht davon, sprechen wir von Kunst, von Ihrer
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