Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
dem ewig steinernen Gewölbe. Aber viel leichtes Licht ist um sie.
Das dritte Bild stellt dar eine Karfreitagsprozession. Ohne daß übermäßig viele Menschen zu sehen wären, ist sichtbar, spürbar das ganze, heftige Gewimmel der Fahnen, Kreuze, Teilnehmer, Zuschauer, Büßer. Vor schwarzverhängten Häusern schwankt ein schweres Podium heran, getragen von kräftigen, schwitzenden Männern, und auf ihm das Riesenbild der Jungfrau mit dem Heiligenschein. Dahinter, fernher, ein ebensolches Podium mit dem Heiligen Joseph, und, noch ferner, ein drittes und auf ihm, gigantisch, der Gekreuzigte. Fahnen und Kreuze sind weit vorne im Zug. Am deutlichsten aber werden die Büßer, die Disciplinantes, halbnackt und weiß, mit weißen, spitzen Sünderhüten die einen, mit schwarzen Teufelsfratzen und -kleidern die andern, fanatisch bewegt alle, schwingend ihre vielschwänzigen Peitschen.
In dem Autodafé, an dem er als Neunjähriger teilgenommen hatte, damals, in Saragossa, hatte er mit angesehen und angehört, wie ein Geistlicher abgeurteilt worden war, der Padre Arevalo, der seine Beichtkinder nackend gepeitscht hatte und sich von ihnen hatte peitschen lassen auf jene Körperteile, welche gesündigt hatten. Das Urteil, das dem Padre gesprochen wurde, war mild gewesen, doch lang, mit ausführlicherBegründung, und verlesen worden war eine in alle Einzelheiten gehende Darstellung der regelwidrigen, verbotenen Buße, welche der Padre sich und seinen Beichtkindern auferlegt hatte. Seit Jahrzehnten hatte Goya daran nicht mehr gedacht. In der Kirche San Domingo aber hatte er von neuem deutlich verspürt die drangvolle, befangene, inbrünstige Teilnahme, mit der er damals die Verlesung jenes Urteils angehört hatte. Und aufgestiegen war ihm die Erinnerung an die vielen Flagellanten, die er seither gesehen hatte, an die Prozessionen jener seltsamen Büßer, die sich Leiden zufügen, um künftiges Leid abzuwehren. Sie züchtigen sich mit Lust. Ihre Peitschen tragen die Farben der Geliebten, und wenn sie an dieser vorbeiziehen, versuchen sie, sie mit ihrem Blute zu bespritzen; das ist Ehre und Liebesdienst nicht nur für die Heilige Jungfrau, sondern auch für die Geliebte. Und nun also hatte er sie gemalt, die Büßer. Vorn auf seinem Bild schreiten sie, tanzen sie, nackend, mit gekrümmten, muskulösen Rücken, mit weißen Lendenschurzen und weißen, spitzen Büßerhüten. Grell über ihnen liegt das Licht. Doch mild und sanft geht es aus von der Heiligen Jungfrau.
Eine sehr andere Prozession stellte das vierte Bild dar, »Die Beerdigung der Sardine«, jene wilde Festlichkeit, die den Karneval beschloß, die letzte Feier vor der langen, harten Fastenzeit. Dicht drängt sich da die Menge, bemüht um Fröhlichkeit, eine große Fahne mit einem teuflischen Mond ist da, ein paar Burschen tragen wilde, kinderschreckende Masken, zwei Mädchen, ausschauend wie verkleidete Männer, tanzen mit einem dritten, maskierten Mann einen schweren Tanz. Es ist eine gewollte, besessene Fröhlichkeit, die von dem Bild ausgeht, eine fanatische Ausgelassenheit, man spürt, gleich nach ihr kommt die Zeit von Sack und Asche.
Auch in dieses Bild hatte Goya persönlichen Groll hineingemalt. Die Engländer nämlich nützten die Fastenzeit, um in Spanien gedörrten Fisch in Mengen einzuführen, und der Papst, um die Profite der verhaßten Briten zu verringern, räumte solchen, denen Arzt und Beichtvater ein Zeugnis ausstellten,das Recht ein, auch während der Fastenzeit Fleisch zu essen. Wer dieses Privileg genießen wollte, mußte ein gedrucktes Exemplar der päpstlichen Erlaubnis-Bulle kaufen, alljährlich ein neues, unterzeichnet vom Pfarrer seines Sprengels; der Pfarrer erhob dafür eine Gebühr je nach dem Einkommen des Petenten. Über die Höhe dieser Gebühr ärgerte sich Francisco Jahr für Jahr, und so geriet ihm die Fröhlichkeit der »Beerdigung der Sardine« besonders grimmig.
Das fünfte Bild endlich stellte ein Autodafé dar. Es findet statt nicht in der Kirche San Domingo, sondern in einer hellen Kirche mit lichten, hohen Wölbungen und Bögen. Vorn auf seiner Bühne hockt im Schandhemd der Ketzer, erhöht über die andern, hell und grotesk sticht der spitze Hut schräg in die Luft. Der ganze Mensch ist zusammengesackt, ein Bündel Not und Schande, seine Erhöhung macht seinen Jammer doppelt kläglich. Getrennt von ihm, viel tiefer, sitzen drei andere Sünder, wie er haben sie die Hände gebunden, wie er sind sie im Schandkleid und tragen
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