Goya oder der arge Weg der Erkenntnis - Roman
die spitzen Hüte, einer ist zusammengefallen, die andern halten sich noch aufrecht. Im Hintergrund, vor dem thronenden Gericht, verliest der Sekretär das Urteil. Würdenträger sitzen herum, geistliche und weltliche, in Perücken und mit Käppchen hocken sie da, ziemlich unbeteiligt, dick, fromm, repräsentativ und maskenhaft, und in ihrer Mitte der Mann, den sie gefangen haben, der Ketzer, dem sie das Urteil sprechen.
Vor diesen Bildern also stand jetzt Agustín. Stand und schaute. Trank die Bilder ein. War bestürzt. Erschreckt.
Es war ein freudiger Schreck. Das war eine andere Malerei, als man sie bisher gesehen hatte. Das war ein anderer Francisco, der das gemalt hatte, und war doch der gleiche. Was auf diesen Bildern zu sehen war, das waren umständliche Begebenheiten mit vielen Menschen, aber da war nichts Überflüssiges mehr. Es war eine sparsame Fülle. Was sich nicht dem Ganzen unterordnete, war weggelassen, der einzelne Mensch, das einzelne Ding waren nichts als dienende Teile. Und noch seltsamer: alle fünf Bilder, Agustín spürte es gut,alle fünf Bilder, so mannigfach ihr Inhalt schien, gehörten zusammen. Der sterbende Stier, die tolle Karnevalsprozession, die Flagellanten, das Irrenhaus, die Inquisition, das war eines , das war Spanien. Die ganze Wildheit war darin, das Grausen, das Dumpfe, Dunkle, das sogar in der spanischen Freude ist. Trotzdem, und das konnte nur ein Mann malen, nur sein Freund Francisco, trotzdem lag darüber ein Leichtes, Beschwingtes: der Schrecken der Vorgänge war aufgehoben durch die zarte Helligkeit des Himmels, das schwebende, abgestufte Licht. Und was Francisco seinem Agustín in Worten niemals hätte begreiflich machen können, das fühlte dieser jetzt aus den Bildern: daß nämlich diesem sonderbaren Francho sogar die bösen Dämonen willkommen waren. Denn über der Düsterkeit dessen, was Francisco da gemalt hatte, glänzte seine Lust zu leben, zu sehen, zu malen, seine ungeheure Freude am Leben, wie immer es sein mochte.
Lehnte diese Malerei sich
Gegen die Regierung auf? Empörte
Sie sich gegen Thron und Altar?
Nichts dergleichen war mit Augen
Sichtbar, noch mit Worten sagbar.
Trotzdem störten diese kleinen
Bilder einen auf, viel mehr als
Worte, die empörerischsten.
Jener Stier, der Wasser ließ im
Sterben, und die wilde, dumpfe
Lustigkeit der finstern Fastnacht
Machten einem ebenso das
Herz heiß und die Galle bitter
Wie der Zug der weißen, nackten
Büßer, die sich peitschten, und wie
Das Gericht der Ketzer.
»Nun? Was
Sagst du?« fragte Goya. »Gar nichts
Sag ich«, sagte Agustín, »da
Kann man gar nichts sagen«, und er
Grinste breit und strahlend übers
Ganze, hagre, knochig düstre
Antlitz.
10
Josefa kam und sah die Bilder, und sie wich weiter in den Winkel zurück. Der Mann, den sie liebte, war ihr unheimlich.
Jovellanos kam mit dem jungen Dichter Quintana. Jovellanos sagte: »Sie gehören zu uns, Don Francisco. Um ein Haar hätte ich Ihnen unrecht getan.« Der junge Quintana freute sich: »Idioma Universal. Ihre Bilder, Don Francisco, versteht ein jeder, vom Maultiertreiber bis hinunter zum Ersten Minister.«
Don Miguel, Lucía, Don Diego beschauten die Bilder. Es war Unsinn, solche Bilder messen zu wollen an den Regeln der Mengs und Bayeu. »Ich fürchte, wir müssen umlernen, Don Miguel«, sagte der Abate.
Aber am nächsten Morgen kam Don Miguel nochmals zu Goya. Franciscos Bilder hatten ihn nicht schlafen lassen. Sie beunruhigten den Politiker Bermúdez ebenso wie den Kunstkenner Bermúdez. Und werden nicht auch die andern die heimliche Empörung der Bilder herausschmecken, die Feinde, der Großinquisitor Lorenzana zum Beispiel? Die werden sich wenig um die Kunst kümmern, die in den Bildern steckt, sie werden lediglich finden, diese Erzeugnisse seien störend, aufrührerisch, ketzerisch.
Das also wollte jetzt Miguel seinem Freunde klarmachen. Francisco habe, setzte er ihm auseinander, mit diesen Bildern seinen Mut und seinen Willen zum politisch Richtigen zur Genüge gezeigt. Mehr zu tun, die Bilder auszustellen, wäre tollkühn. Wenn ein Mann, der von der Inquisition geladen worden war, dem Autodafé in San Domingo beizuwohnen,solche Bilder ausstellte, so wäre das eine Herausforderung, die das Heilige Offizium nicht dulden werde.
Goya, mit schmunzelnder Überraschung, betrachtete seine Bilder. »Ich kann an diesen Bildern nichts finden«, sagte er, »was dem Heiligen Offizium Anlaß geben könnte, gegen mich
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