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Grab im Wald

Grab im Wald

Titel: Grab im Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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aber vielleicht hilft es mir, wenn ich rauskriege, was damals wirklich passiert ist, weil ich dann etwas Gutes aus dem ganzen Übel ziehen und mich daran festhalten kann.«
    Sie war früher, als ich sie kannte, eine so tolle Frau gewesen. Ich wollte sie daran erinnern. Ich wollte ihr sagen, dass sie ihr Leben zu sehr dramatisierte, dass sie schließlich immer noch eine schöne und erfolgreiche Frau war und viel zu bieten hatte. Aber ich merkte rechtzeitig, wie herablassend das geklungen hätte.
    Also sagte ich stattdessen: »Es tut verdammt gut, dich wiederzusehen, Lucy.«
    Sie kniff die Augen zu, als ob ich sie geschlagen hätte. Ich überlegte, dass sie gesagt hatte, sie wollte nicht zu verletzlich sein. Ich dachte an den Erlebnisbericht, in dem stand, dass sie Angst hatte, nie wieder so eine Liebe zu finden. Ich wollte ihre Hand ergreifen und sie drücken, aber ich wusste, dass wir beide noch nicht so weit waren und ich mit dieser Geste gleichzeitig zu weit und nicht weit genug gehen würde.

24
    Ich brachte Lucy zu ihrem Büro zurück.
    »Gleich morgen früh fahr ich zu Ira«, sagte sie, »und guck mal, ob er mir was über Manolo Santiago erzählen kann.«
    »Gut.«
    Lucy öffnete die Tür. »Ich muss noch einen ganzen Haufen Arbeiten korrigieren.«
    »Ich bring dich rein.«
    »Nein.«
    Lucy stieg aus.
    Ich sah ihr nach, als sie zur Tür ging. Meine Brust zog sich zusammen. Ich wollte verstehen, was ich gerade empfand, es war aber ein ganzer Schwall verschiedenster Gefühle, aus dem ich kein dominierendes herausfiltern konnte.
    Mein Handy klingelte. Auf dem Display sah ich, dass es Muse war.
    »Wie ist es bei Mrs Perez gelaufen?«, fragte sie.
    »Ich glaube, sie lügt.«
    »Ich hab da noch was, das Sie interessant finden könnten.«
    »Und?«
    »Mr Perez geht öfter in eine Bar, das Smith Brothers, gleich um die Ecke von seinem Haus. Er hängt da mit seinen Kumpels rum, spielt Darts und so. Trinkt auch das eine oder andere Bier. Gestern und vorgestern hat er sich aber so richtig volllaufen lassen. Er hat viel geweint und Streit angefangen.«
    »Auch so kann Trauer aussehen«, sagte ich.
    In der Leichenhalle war Mrs Perez die Stärkere von beiden gewesen. Mr Perez musste sich auf sie stützen, um nicht zusammenzubrechen.
    »Und Alkohol löst auch die Zunge«, sagte Muse.
    »Wohl wahr.«

    »Im Moment ist Perez übrigens da. In der Bar. Wäre vielleicht einen Versuch wert, da mal ein paar Worte mit ihm zu reden.«
    »Bin schon unterwegs.«
    »Noch was.«
    »Ich höre.«
    »Wayne Steubens hat sich bereiterklärt, Sie zu empfangen.«
    Mir blieb der Atem stehen. »Wann?«
    »Morgen. Er sitzt im Red Onion State Prison in Virginia. Und weil Sie schon da sind, hab ich Ihnen gleich noch einen Termin mit Geoff Bedford in der dortigen FBI-Dienststelle gemacht. Er hat damals die Ermittlungen in dem Fall geleitet.«
    »Das geht nicht. Morgen ist Prozesstag.«
    »Doch das geht. Den einen Tag kann auch einer Ihrer Mitarbeiter übernehmen. Ich hab Ihnen für morgen früh einen Flug gebucht.«

    Ich weiß nicht genau, was für eine Bar ich erwartet hatte. Wohl eine dunklere und verruchtere. Das Smith Brothers war eher ein Familienrestaurant im Stile der Ketten wie T.G.I. Friday’s oder Bennigan’s, mit der Ausnahme, dass die Bar relativ groß und das Restaurant demzufolge etwas kleiner war. In der Bar waren die Wände mit Holz vertäfelt, das frische Popcorn war umsonst, und es lief laute Musik aus den Achtzigern – im Moment Head over Heals von Tears for Fears.
    Als ich jung war, hätte man das als Yuppie-Bar bezeichnet. Die jungen Männer hatten ihre Krawatten gelockert, und die Frauen versuchten, möglichst geschäftsmäßig auszusehen. Die Männer tranken Flaschenbier und taten so, als würden sie die Zeit mit ihren Kumpels genießen, während sie heimlich die Frauen abcheckten. Die Damen tranken Wein oder Pseudo-Martinis und beäugten die Männer verstohlen. Ich schüttelte den Kopf.

    Vielleicht sollte der Discovery Channel hier mal eine Sondersendung über Paarungsrituale drehen.
    Eigentlich sah es nicht aus wie das Stammlokal von Jorge Perez, aber dann entdeckte ich ihn im hinteren Teil der Bar. Er saß mit vier oder fünf Kampfgefährten an der Theke – Männer, die richtig trinken konnten und sich schützend über ihre Gläser beugten. Mit trüben Augen beobachteten sie von dort die Yuppies des einundzwanzigsten Jahrhunderts bei ihrem Treiben.
    Ich trat hinter Mr Perez und legte ihm die Hand auf die Schulter. Er

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