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Grab im Wald

Grab im Wald

Titel: Grab im Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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wäre. Vielleicht ist Gil von Anfang an Waynes Komplize gewesen. Wer weiß?«
    Ich sagte nichts.
    »Nach dieser Theorie«, sagte ich, »wäre meine Schwester tot.«
    »Ich weiß.«
    Ich sagte nichts.
    »Cope?«
    »Was ist?«
    »Es war nicht deine Schuld.«
    Ich sagte nichts.
    »Wenn überhaupt«, sagte sie, »war es meine.«
    Ich hielt den Wagen an. »Wie kommst du darauf?«
    »Du wolltest an dem Abend auf dem Posten bleiben. Du wolltest deinen Wachdienst schieben. Ich hab dich in den Wald gelockt.«

    »Gelockt?«
    Sie sagte nichts.
    »Das ist doch wohl ein Witz, oder?«
    »Nein«, sagte sie.
    »Ich hatte meinen eigenen Kopf, Lucy. Du hast mich nicht zu irgendwas überredet, was ich nicht tun wollte.«
    Sie schwieg. Dann sagte sie: »Du gibst dir immer noch die Schuld.«
    Ich spürte, wie ich das Lenkrad fester umklammerte. »Nein, tu ich nicht.«
    »Doch, Cope, das tust du. Hör zu. Trotz dieser neuen Enthüllungen musst du gewusst haben, dass deine Schwester tot ist. Du hoffst immer noch auf eine zweite Chance. Du suchst immer noch nach Erlösung.«
    »Dieser Abschluss in Psychologie«, sagte ich, »der macht sich wirklich bezahlt, was?«
    »Ich wollte dich nicht …«
    »Und was ist mit dir, Luce?« Das klang aggressiver, als ich es geplant hatte. »Gibst du dir die Schuld? Trinkst du deshalb so viel?«
    Schweigen.
    »Tut mir leid, das hätte ich nicht sagen dürfen«, entschuldigte ich mich.
    Sie sagte leise: »Du weißt doch gar nichts über mein Leben.«
    »Ich weiß. Das geht mich auch nichts an.«
    »Das mit der Trunkenheit am Steuer ist lange her.«
    Ich sagte nichts. Sie wandte sich ab und sah aus dem Fenster. Wir fuhren schweigend weiter.
    »Aber vielleicht hast du Recht«, sagte ich.
    Sie schaute weiter aus dem Fenster.
    »Eins hab ich bisher noch niemandem erzählt«, sagte ich. Ich spürte, dass mir Tränen in die Augen stiegen. »Mein Vater hat mich nach jener Nacht nie mehr so angeguckt wie früher.«

    Sie sah mich an.
    »Das kann natürlich auch eine Projektion sein. Ich meine, du hast Recht. Zu einem gewissen Grad habe ich mir die Schuld daran gegeben, was damals passiert ist. Was wäre gewesen, wenn wir nicht abgehauen wären? Was wäre passiert, wenn ich einfach auf meinem Posten geblieben wäre, wo ich hingehörte? Und vielleicht zeigte sein Blick nur den Schaden, den der Verlust seiner Tochter in ihm angerichtet hatte. Aber ich habe immer den Eindruck gehabt, dass mehr dahintersteckt. Ich habe immer etwas Anklagendes darin gesehen.«
    Sie legte mir die Hand auf den Arm. »Ach, Cope.«
    Ich fuhr weiter. »Na ja, womöglich hast du da tatsächlich was gefunden. Vielleicht will ich wirklich noch was aus der Vergangenheit wiedergutmachen. Und wie ist das bei dir?«
    »Wie ist was bei mir?«
    »Warum stürzt du dich da so hinein? Was erhoffst du dir davon, nach all den Jahren?«
    »Soll das ein Witz sein?«
    »Nein. Was genau willst du damit erreichen?«
    »In jener Nacht war das Leben, das ich bis dahin kannte, mit einem Schlag beendet. Begreifst du das nicht?«
    Ich sagte nichts.
    »Die Familien – auch deine – haben meinen Vater vor Gericht gezerrt. Ihr habt uns alles genommen, was wir hatten. Ira war nicht stark genug und hat diesen Schlag nicht verkraftet.«
    Ich wartete, dass sie weitererzählte. Aber das tat sie nicht.
    »Das ist mir schon klar«, sagte ich. »Aber was willst du jetzt erreichen? Ich versuche also immer noch, meine Schwester zu retten, hast du eben festgestellt. Und wenn ich das nicht kann, will ich wenigstens rauskriegen, was damals wirklich mit ihr passiert ist. Aber was erhoffst du dir davon?«
    Sie antwortete nicht. Wir fuhren weiter. Dunkle Wolken zogen am Himmel auf.

    »Du weißt gar nicht, wie verletzlich ich mich hier fühle«, sagte sie.
    Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Also erwiderte ich: »Ich würde dir niemals wehtun.«
    Schweigen.
    »Ein Punkt, der da auf jeden Fall mit reinspielt«, sagte sie, »ist, dass ich das Gefühl habe, als hätte ich zwei Leben gelebt. Das eine vor jener Nacht, in dem alles ziemlich gut gelaufen ist, und das andere danach, das ein einziger Kampf war. Und ja, ich weiß, wie jämmerlich das klingt. Aber manchmal kommt es mir vor, als ob mich damals jemand einen Berg runtergestoßen hat und ich immer noch falle. Ich komme zwar zwischendurch immer mal auf die Beine, aber der Berg ist so steil, dass ich nie ganz zum Stehen komme und dann wieder ins Stolpern gerate. Also kann ich vielleicht – ich weiß nicht –,

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