Grabesdunkel
gebeugt auf Joakims Platz, als dieser hereinkam.
»VG hat bereits sieben Leute auf den Fall angesetzt und Dagbladet vier«, sagte er und blickte auf.
»Kein Problem«, sagte Joakim trocken.
»Wir müssen den Exfreund finden.«
»Ich habe schon versucht, ihn über Handy zu erreichen, aber es ist ausgeschaltet. Wir müssen in der Handelshochschule und bei ihm zu Hause suchen«, meinte Joakim.
Zuerst fuhren sie zur Handelshochschule. Möglicherweise hatten sie nicht die besten Voraussetzungen, um mit den schicken Wirtschaftsstudenten ins Gespräch zu kommen. Rasmus hatte sich nicht einmal die Haare gekämmt, und seine Jacke hatte schon bessere Zeiten gesehen. Joakim seufzte. Mit seinen Notfallklamotten aus dem Elternhaus sah er nicht viel besser aus.
Es war Mai und Examenszeit. In der Aula, in der Mensa und im Lesesaal drängten sich die Studenten. Es war zu nass, um sich drauÃen aufzuhalten. Joakim wandte sich zunächst an zwei junge Frauen, die im verglasten Eingangsbereich auf dem Boden saÃen und lernten. Sie kannten Helle Isaksen nicht, lieÃen sich jedoch bereitwillig darüber aus, wie erschüttert sie waren.
Joakim und Rasmus schrieben mit und fotografierten für den Fall, dass sie nichts anderes bekommen sollten. Dann bedankten sie sich und gingen weiter. Sie sprachen noch mehrere andere Studenten an, alle wollten reden, aber keiner hatte Helle oder ihren Exfreund gekannt. SchlieÃlich blieb Joakim bei drei jungen Frauen stehen, die in der Mensa saÃen und Latte macchiato tranken. Er stellte sich vor und sagte, für wen er arbeitete.
»Schreiben Sie über Helle?«, fragte die Aufgeweckteste der drei. Sie hatte rote Haare und trug ein blaues Halstuch.
»Ja. Haben Sie sie gekannt?«
»Wir wollen nicht interviewt werden.«
»Das ist auch kein Interview. Ich will nur ein paar Informationen.«
Die beiden anderen Frauen blickten skeptisch zu ihm hoch. Die Rothaarige sah aus, als könnte sie sich überreden lassen. Joakim versuchte, sie zur Seite zu nehmen. Sie zögerte zunächst, doch langsam wurde sie gesprächiger.
»Aber kein Interview«, wiederholte sie.
Sie gingen in die groÃe Aula und setzten sich an einen der Stahltische. Rasmus hielt sich im Hintergrund und machte Fotos von den Räumlichkeiten.
»Haben Sie sie gekannt?«, wiederholte Joakim.
»Flüchtig, wir waren nicht befreundet, hatten aber gemeinsame Bekannte.«
»Hatte Helle viele Freunde an der Hochschule?«
»Helle war meistens mit einem Mädel namens Ester zusammen. Sie gingen in dieselben Kurse und besuchten dieselben Bars. Besonders oft sind sie ins Hjørnet gegangen.«
»Hjørnet?«, fragte Joakim.
»Das können Sie googeln, wenn Sie das nicht kennen«, meinte die junge Frau.
»War sie gut?«
»Gut worin?«
»Im Studium.«
»Ganz okay, aber sie war noch besser darin, sich aufzubrezeln und um die Häuser zu ziehen.«
»Sie hat einen Exfreund, der auch hier studiert. Wissen Sie, wo ich ihn erreichen kann?«
»Das ist total krank, was die Zeitungen schreiben!«, rief die junge Frau aufgebracht.
»Was? Dass er heute Nacht vernommen worden ist?«
»Die Art, wie sie das schreiben. Er wird doch total als Mörder hingestellt. Auch wenn sie seinen Namen nicht nennen, wissen doch alle an der Hochschule, um wen es geht.«
»Und wo ist Tom jetzt?«
»Ich werde Ihnen nicht helfen, Tom zu finden. Ich habe schon genug gesagt.«
»Hören Sie, wenn Sie Tom kennen, glauben Sie nicht, dass er selbst entscheiden möchte, ob er mit der Presse reden will oder nicht? Er ist ohnehin heute auf den Titelseiten von VG und Dagbladet.«
Sie schwieg eine Weile.
»Können Sie sich nicht vorstellen, dass er vielleicht seine Version der Geschichte erzählen möchte?«
»Ich werde ihn jedenfalls nicht in Ihrem Auftrag fragen. So gut kenne ich ihn nicht.«
»Wie gut kennen Sie ihn denn?«
»Er ist ein Freund meines Freundes. Mein Freund ist gerade bei ihm.«
Bingo.
»Dann fragen Sie doch Ihren Freund.«
Sie dachte erneut nach. Dann stand sie auf. Joakim glaubte zuerst, dass sie gehen wollte. Stattdessen holte sie ihr Handy heraus, ein weiÃes Smartphone, und trat ein Stück zur Seite. Sie telefonierte lange. Hinterher kam sie nicht zu ihm zurück, sondern blieb abwartend stehen. Drei Minuten später klingelte das Smartphone. Dieses
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