Grabesdunkel
er in der Warteschleife.
»Stimmt es, dass der Exfreund ein Alibi hat?«, begann er, als er sie endlich erreicht hatte.
»Ich habe jetzt keine Zeit«, meinte sie ungehalten.
»Komm schon, Kikki. Ich habe bereits mit ihm gesprochen.«
Stille.
»Das ist hochgradig sensibel«, seufzte sie schlieÃlich. »Wir glauben, dass der Mord am Sonntag gegen dreizehn Uhr passiert ist. Der Spielraum liegt bei zwei bis drei Stunden, wie du vielleicht weiÃt. Tom Marius Westerberg hat demnach ein gutes Alibi. Man hat ihn ab elf im Lesesaal gesehen.«
»Was sagt der vorläufige Obduktionsbericht sonst noch?«
»Ãber die Obduktion kann ich dir nicht mehr sagen. Nicht zum jetzigen Zeitpunkt«, sagte sie entschieden.
Nach dem Telefonat mit Kikki ging Joakim in die Kriminalredaktion. Die Uhr zeigte nach vier. Es herrschte gähnende Leere. Joakim fuhr sich resigniert über die Stirn. Wenn Tom Marius Westerberg einen Rückzieher machte, hatte er nichts. Das Interview mit den Studentinnen war nicht gerade Stoff für eine Titelseite.
Joakim setzte sich an den Computer. »Ich bin unschuldig«, schrieb er in die Titelspalte. Und gleich darunter: »Exklusivinterview mit Helle Isaksens Exfreund.« Er hämmerte das Interview mit Tom in den Computer und schrieb zusätzlich noch zwei kleinere Artikel: einen über die Studentinnen, die der Mord an Helle so erschüttert hatte, und einen mit offiziellen Zitaten der Ermittlungsleiterin Kristine Rosenberg.
Joakim hatte zwei Stunden ununterbrochen gearbeitet, als ihm einfiel, dass er heute noch gar nichts gegessen hatte. Er stand auf, steckte Handy und Portemonnaie ein und ging die Treppe hoch zur Kantine. Es gab Spiegelei mit Schinken. Schon wieder.
Nach dem Essen rief er Tom Marius Westerberg an, um die Zitate mit ihm abzustimmen. Tom war noch immer skeptisch.
»Was bringt mir das?«, fragte er.
»Ich bin überzeugt, dass Sie besser dastehen, wenn Sie Ihre Version erzählen«, antwortete Joakim und begann vorzulesen.
Als er fertig war, blieb es eine Weile still am anderen Ende. Joakim hielt den Atem an. Wenn Tom jetzt einen Rückzieher machte, musste er einen Leitartikel über die erschütterten Studentinnen schreiben.
»Verdammt. Mein Ruf ist ohnehin im Eimer. Ich habe bei dem Ganzen nichts mehr zu verlieren«, sagte Tom schlieÃlich.
Joakim spürte, wie sich Erleichterung in ihm ausbreitete.
»Gut, dann drucken wir das so.«
Ressortleiter Fredrik Telle saà drauÃen in der Redaktion. Er fauchte ins Telefon, stritt sich wahrscheinlich mit einer Quelle. Wenn es zwischen Journalisten und Interviewpartnern Probleme gab, landete die Angelegenheit oft auf dem Tisch des Ressortleiters. Dann war es Telles Job zu entscheiden, inwieweit die Zeitung nachgeben sollte. Diesmal hatte er offenbar nicht vor, einzulenken, denn Joakim sah, wie er gereizt den Hörer aufknallte.
»Noch mehr schlechte Neuigkeiten?«, fragte er und sah zu Joakim hoch, der neben ihn getreten war.
»Nein, heute habe ich was«, antwortete er.
Telles verschwitztes Gesicht entspannte sich, als Joakim ihm von dem Interview mit Tom Marius Westerberg erzählte.
»Verdammt, Joakim. Genau das brauche ich heute Abend. Das ist Titelseitenstoff!«
Joakim lächelte. Noch immer bereitete es ihm eine fast kindliche Freude, mit einem Artikel auf die Titelseite zu kommen.
Nachdem er das Manuskript abgeliefert hatte, ging er nach Hause. DrauÃen war es kühl, Joakim knöpfte seine Jacke bis oben zu, während er an dem riesigen Gebäude von VG in der Akersgate vorbeiging. Unwillkürlich wanderte sein Blick zu der Etage hoch, in der seines Wissens die Nachrichtenreporter von VG saÃen. Er fragte sich, ob Helene Muus Mikalsen wohl noch in der Redaktion war.
Seine Gedanken arbeiteten auf Hochtouren. Wenn der Exfreund ein Alibi hatte, wer hatte Helle Isaksen dann umgebracht? Von welchen Theorien ging man bei VG und Dagbladet aus? Hatten sie mehr? Gab es irgendetwas, was er nicht mitbekommen hatte?
Kapitel 11
Der dritte Tag der Ermittlungen im Mordfall Helle Isaksen neigte sich seinem Ende zu. Staatsanwältin Kristine Rosenberg fuhr im Auto von der Arbeit nach Hause. Sie war so müde, dass die Laternen zu langen, gelben Linien am StraÃenrand verschwammen. Und sie hatte Sander gegenüber ein schlechtes Gewissen. Er war erst anderthalb und schon jetzt daran gewöhnt, dass seine Mama phasenweise
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