Grabesdunkel
plötzlich verschwand.
Sie hielt das Steuer mit einer Hand fest und öffnete mit der anderen die obersten Blusenknöpfe. Sie war verschwitzt. Erschöpft. Reif für ein langes heiÃes Bad, gefolgt von einem schweren, tiefen Schlaf. Dieser Fall stresste sie. Kristine Rosenberg leitete zum ersten Mal die Ermittlungen in einem Mordfall. Sie hatte beschlossen, den Kontakt mit den Medien selbst zu pflegen.
Schon bei der ersten Besprechung des Ermittlerteams hatte sie die Spielregeln klargemacht: Zum Schutz der Informationen sollten alle Daten verschlüsselt werden. Keiner vom Ermittlerteam hatte den Fall auÃerhalb der Diensträume zu diskutieren. Die Leute aus der Verwaltung, die den Ermittlern mit Aktenablage und Dokumentensuche zur Seite standen, wurden ins Team mit einbezogen, um eine bessere Kontrolle über die Informationen zu gewährleisten.
Es wurden Obergrenzen festgelegt, wie viele Kopien von den einzelnen Dokumenten und den elektronischen Akten gemacht werden durften. Weder auf Laptops noch auf Handys, CDs oder USB-Sticks durften sensible Informationen gespeichert werden, es sei denn, es war unumgänglich â in diesem Fall mussten die Daten mit Zugangscodes und Verschlüsselungen für AuÃenstehende unleserlich gemacht werden.
Kikki fröstelte noch immer. Sie war zwar nicht am Tatort gewesen, hatte aber am Vortag einen der Ermittler ins Rechtsmedizinische Institut begleitet, um selbst mit dem zuständigen Gerichtsmediziner zu reden. Der Ermittler hatte ungehalten reagiert. Die Polizisten mochten es nicht, wenn Staatsanwälte sich in die kriminaltechnische Arbeit einmischten. Dass ein Staatsanwalt sich eine Leiche ansah, war, milde gesagt, auÃergewöhnlich. Selbst die Ermittler kamen nur selten in die Rechtsmedizin.
Kikki hatte ihre Entscheidung in dem Moment bereut, als sie den kühlen Obduktionssaal betreten und den Stahltisch mit dem leblosen Körper gesehen hatte, der noch vor Kurzem eine lebensfrohe junge Frau gewesen war. Er war mit Wunden und Blutergüssen übersät.
Der Rechtsmediziner Gunnar Bjerke war ein älterer Professor. Unter einem gelben Gummikittel trug er einen grünen OP-Anzug. Auf dem Kopf hatte er eine grüne Papierhaube, vor dem Mund einen grünen Mundschutz. Seine Hände steckten in dünnen Latexhandschuhen.
Er informierte sie über seine Ergebnisse mit einer seltsam ungerührten Stimme. Er war mitten in der Untersuchung der inneren Organe. Der Präparator hatte die Leiche bereits geöffnet und die Organe im Bauchraum entnommen. Das Kopfhaar war abrasiert, das Messer im Auge entfernt worden. Man hatte den Schädel mit einer Säge geöffnet, um das Gehirn zu entnehmen und auf Verletzungen hin zu untersuchen.
Die Neonröhren an der Decke waren vor Kikkis Augen verschwommen, sie hatte versucht zu schlucken, hatte mit der Hand nach etwas getastet, woran sie sich hätte festhalten können, aber da war nichts gewesen. Ihr Blick flatterte zwischen dem Obduktionstisch mit der Leiche und den Schränken mit den Werkzeugen hin und her, von denen sie am liebsten gar nicht wissen wollte, wozu sie gedacht waren.
»Es gibt ein paar Spuren«, hatte Professor Gunnar Bjerke ihr erklärt. »Unter den Fingernägeln waren Reste von Haut und Blut. Darüber hinaus haben wir mehrere Haare gefunden, an denen noch die Haarwurzeln hingen. Sie könnten vom Täter stammen.«
»Wie ist sie gestorben?«
»Der Täter hat dem Opfer ein paar harte Schläge versetzt, die zu fünf Rippenbrüchen und einem Armbruch geführt haben, bevor er ihr das Messer ins Auge gerammt hat. Das Messer saà nicht tief, zwei bis drei Zentimeter. Sie hat danach noch gelebt.«
»Wie furchtbar.«
»Ich nehme sogar an, dass sie noch bei Bewusstsein war.«
»Wie ist das möglich?«
»Es gibt mehrere Beispiele dafür, dass Menschen überlebt haben, obwohl ein Messer mehrere Zentimeter tief in ihr Gehirn eingedrungen ist. Anfang des Jahres bekam eine Schülerin in Finnland eine Schere ins Auge. Sie war bei Bewusstsein und hat auf dem ganzen Weg in die Ambulanz mit ihrer Mutter geredet. Die Schere wurde herausoperiert. Kritisch wird es, wenn jemand versucht, den Gegenstand selbst zu entfernen. Das geht meistens schief.«
Erst da hatte der Mediziner Kikki angesehen und gefragt: »Was ist los? Geht es Ihnen nicht gut?«
Gunnar Bjerke hatte sie auf den Gang hinausbegleitet und auf
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