Grabesdunkel
auflegte. Zetterstrøm selbst wurde gerade vernommen. Joakim versuchte es bei den Kollegen des Professors, bei alten Studienkollegen und Freunden. Einige legten auf. Andere wollten darüber reden, wie schockiert sie waren. Zetterstrøm wurde von ihnen als fachliche Autorität und als zuverlässiger Familienvater beschrieben.
Hin und wieder bekam Joakim Fetzen der Unterhaltungen mit, die Agnes führte. Sie arbeitete gut, aber es war ein harter Job. Er hörte sie mit der Tante des Mordopfers und mit einem Pfarrer reden, mit Helle Isaksens früheren Klassenkameraden, Lehrern und Handballtrainern. Agnes ging einfühlsam vor, und überraschend oft gelang es ihr zu vermeiden, dass ihre Gesprächspartner einfach den Hörer aufknallten. Aber sie war unzufrieden.
»Das ist doch nichts als ein Kratzen an der Oberfläche«, murrte sie.
»Wie meinst du das?«
»Sie stehen ihr nicht nahe genug und haben sie nur so gekannt, wie sie vor ein paar Jahren war. Die Frage ist, wie sie heute war. Ich rufe die Eltern an«, sagte sie.
Joakim seufzte. Die Zeitung nahm so bald nach einem Mord nie persönlich Kontakt zu den direkten Angehörigen auf, nur über Mittelsmänner. Und er hatte nicht vor, die ethischen Richtlinien zu missachten, zumindest nicht jetzt, wo er beim Chefredakteur in Ungnade gefallen war.
»Gibt es niemanden, der den Kontakt für dich herstellen kann?«, fragte er.
»Nein, sie sagen, dass es zu früh ist. Deshalb will ich die Eltern selbst anrufen.«
»Wir sollten zumindest bis nach dem Begräbnis warten«, sagte Joakim.
»Es kann doch sein, dass sie etwas dazu sagen möchten, dass einer der Professoren der Hochschule unter Verdacht steht, ihre Tochter umgebracht zu haben«, meinte Agnes.
Joakim schüttelte den Kopf. »Das geht nicht.«
»Na gut, dann fahre ich zur Handelshochschule, um eine ihrer Freundinnen aufzutreiben.«
Agnes stand auf und schaufelte das Gerümpel, das sie auf dem Schreibtisch ausgebreitet hatte, in ihre Tasche. Eine Tafel Schokolade, eine Dose mit Lutschpastillen, ein Päckchen Zigaretten und einen groÃen Schreibblock. Dann verschwand sie in Richtung Bildredaktion.
Joakim fühlte sich mit jeder Stunde, die verging, gestresster. Kein Köder, den er ausgelegt hatte, erbrachte ein Resultat. Am frühen Nachmittag fuhr er in die Kanzlei von Rechtsanwalt Martin Tollefsen. Sie hatten sich immer gut verstanden. Er war liberal und gleichzeitig radikal, eine Kombination, die Joakim gefiel.
Sein Büro dagegen strahlte etwas ganz anderes aus. Ein riesiger Eichenschreibtisch dominierte den Raum. Die Beleuchtung war sparsam, nur ein paar Wandlampen und eine grüne Schreibtischlampe aus Glas und Messing. Für die Einrichtung gab es eine Erklärung â Tollefsen hatte die Rechtsanwaltskanzlei von seinem Vater übernommen. Der Vater war eine Legende gewesen, ein eifriger Gesellschaftskritiker, der auf allen Fotos eine Zigarette in der Hand hielt. Er hatte täglich sechzig davon geraucht. Und war mit fünfzig an einem Herzinfarkt gestorben. Sein Sohn hatte das Rauchen von ihm geerbt.
»Zetterstrøm hat kein Alibi?«, erkundigte sich Joakim.
»Vorläufig haben wir noch keins. Er war joggen«, antwortete Martin Tollefsen und zündete sich eine Zigarette an, von derselben Marke wie die seines Vaters.
»Obwohl es in Strömen geregnet hat?«, hakte Joakim nach.
»Wenn Sie gut recherchiert haben, wissen Sie, dass er ehemaliger Leistungssportler ist. Früherer norwegischer Marathonsieger. Er hält sich noch immer gut in Form und joggt mehrmals die Woche. Nein, er hat sich von dem Regen nicht abhalten lassen.«
Joakim warf einen Blick aus dem Fenster. DrauÃen war es noch immer nass.
»Mochte er seine Studentinnen?«, fragte er.
Tollefsen beugte sich vertraulich über den Tisch.
»Hören Sie auf, den Moralapostel zu spielen. Ja, vielleicht tat er das. Aber eine Studentin umbringen, um einen Seitensprung zu vertuschen? Er ist wirklich nicht der Typ, der â¦Â«
»Alle können der Typ sein«, protestierte Joakim.
»Warten Sie, bis Sie ihn getroffen haben«, meinte Tollefsen.
Zurück in der Redaktion, begann Joakim, sich einen Ãberblick zu verschaffen. Das war eine nützliche Ãbung. In der Kriminalredaktion gab es eine groÃe Magnettafel, die er einmal aus dem Feuilleton hatte mitgehen lassen. Ganz oben in die Ecke hatte er
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