Grabesdunkel
TV-Team die Sachen gepackt hatte und sich auf den Weg machte, hörte Hoff den halblauten Kommentar des Kameramanns: »Diesmal sind sie zu weit gegangen. Das wird diese selbstgerechte Zeitung endlich zu Fall bringen.«
Katarina Hoff zitterte vor Wut. Nachdem das Journalistenteam von NRK die Redaktion verlassen hatte, ging sie direkt zu Agnes: »Hast du dich nicht um ein ausreichendes Sicherheitsnetz gekümmert, Agnes?«
»Ich habe gerade noch einmal mit Terje Ãstbys politischer Beraterin gesprochen. Karin Sterner vertritt jetzt eine völlig andere Auffassung als ich, was unser gestriges Gespräch angeht.«
Hoff runzelte die Stirn.
»Karin Sterner behauptet, ich hätte sie keineswegs gebeten, ein Auge auf Terje Ãstby zu haben. Ich glaube, sie lügt, weil sie das, was wir geschrieben haben, ärgert.«
»Verdammt«, meinte Hoff.
Einen kurzen Moment fragte sie sich, ob sie sich womöglich in ihrer Einschätzung von Agnes geirrt hatte. Sie erinnerte sich, wie Sverre Ekker in ihr Büro gekommen war, um sich über Agnes Lea zu beschweren. Er hatte gesagt, dass er sie bei einer Lüge erwischt habe.
»Bei was für einer Lüge?«, hatte Hoff gefragt.
Als Beispiel hatte Ekker ebendiese Karin Sterner angeführt, die ihn nach dem Artikel über das Prostitutionsverbot angerufen und gemeint habe, sie sei von der Journalistin hereingelegt worden. Ekker zufolge hatte Agnes ihr versprochen, dass der Parteivorsitzende den Artikel gegenlesen dürfe, bevor er in Druck gehe. Dieses Versprechen habe sie nicht eingehalten. AuÃerdem hatte Sterner sich über den Grundtenor des Artikels geärgert.
Hoff erinnerte sich gut an den Vorfall. »Er fordert ein absolutes Prostitutionsverbot«, hatte Agnes ihren Artikel betitelt. Die Christliche Volkspartei hatte wohl etwas erwartet wie: »Er will die Opfer des Menschenhandels retten«.
Sie hatte Agnes im Gespräch mit Ekker in Schutz genommen und gesagt: »Ich finde es ohnehin ein Unding, dass ihr den Politikern erlaubt, die Artikel im Vorfeld gegenzulesen. Diese Praxis solltest du revidieren. Den Politikern und vor allem den Parteispitzen, die einen ganzen Apparat damit beschäftigen, uns, nämlich die Presse, zu manipulieren, denen müssen wir keinen Honig um den Bart schmieren.«
Ekker war abrupt vom Sofa aufgestanden. Sie hatte deutlich gesehen, wie entrüstet er über ihre Antwort war. Ein wenig milder hatte sie hinzugefügt: »Ich gebe dir einen guten Rat, Sverre: Geh immer davon aus, dass dein Mitarbeiter recht hat. Zumindest so lange, bis das Gegenteil bewiesen ist.«
Er hatte nicht geantwortet, sondern war einfach gegangen. Als Hoff in Agnesâ gequältes Gesicht sah, dachte sie an den Rat, den sie Sverre gegeben hatte. »Wir reden später noch mal darüber«, sagte sie, bevor sie weitereilte.
Das kann mich den Job kosten, dachte sie, als sie die Tür zu Chefredakteur Pål Røeds Büro hinter sich schloss. Sie hatte ihr Handy auf Lautlos gestellt. Er sah sie besorgt an, als würde er sich fragen, ob sie für diesen Job wirklich stark genug war, ob sie die nötige Standhaftigkeit hatte, die erforderliche Urteilskraft. Hoff wusste, dass diese Geschichte Opfer fordern würde. Sie strich sich nervös ein paar blonde Haarsträhnen aus dem Gesicht, die sich aus der Spange im Nacken gelöst hatten. Im Hintergrund summten leise die Fernsehbildschirme. Sie sah sich auf NRK reden, sah, wie ihr Blick flackerte, während sie versuchte, die vielen Fragen der Journalisten zu beantworten. Hatte sie alles unter Kontrolle? Nein, ganz im Gegenteil. Warum hatte sie nicht selbst bei der Christlichen Volkspartei angerufen? Warum hatte sie nicht selbst mit Karin Sterner gesprochen und dafür gesorgt, dass er jemanden an der Seite hatte, wenn der Skandal auf der Titelseite hinausposaunt wurde?
Weil sie ihren Mitarbeitern vertraut hatte. Gleichzeitig wusste sie, dass sie sich im Nachhinein nicht damit herausreden konnte, dass das Agnes Leas Job gewesen wäre. Agnes war ein Neuling. In diesem Moment stellte Røed den Fernseher aus. Die Stille tat weh.
»Der Vorstandsvorsitzende hat angerufen«, sagte er schlieÃlich.
»Seit wann hat der Vorstandsvorsitzende irgendetwas mit der redaktionellen Arbeit zu tun?« Katarina Hoff biss sich mit den Schneidezähnen in die Zunge. Verdammt! Erst denken, dann reden.
Der Chefredakteur fuhr unbeeindruckt fort:
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